Der NSU, Halle, Hanau: Allein in Deutschland häufen sich rechte Anschläge. Rechte Bedrohungsallianzen analysiert die Strukturen und Netzwerke, die hinter rechten Anschlägen stehen und sie ermöglichen.
Im Zusammenhang mit rechten Anschlägen wie in Haunau und Halle oder rechtem Terror wie dem NSU wird meist von Einzeltätern (hier bewusst nicht gegendert) oder radikalisierten Kleinstgruppen mit Mitgliedern ausgegangen, die sich mehr oder weniger zufällig finden und gemeinsam immer weiter in die Gewaltspirale ziehen. Auf der Oberfläche ist das bei den Anschlägen von Hanau und Halle natürlich richtig, beim NSU dagegen nicht. Hier gab es ein klar sichtbares Unterstützungsmilieu, das die Taten ermöglichte.
Wilhelm Heitmeyer, Manuela Freiheit und Peter Sitzer gehen in Rechte Bedrohungsallianzen mit einer klar umrissenen These von außen nach innen vor, um genau zu beschreiben, wie diese Unterstützungsmilieus funktionieren und wie sie gesellschaftlich integriert sind. Damit lässt sich dann auch in Fällen wie Hanau und Halle klar nachweisen, dass die Täter nicht einfach aus dem Nichts kommen und ohne jede Hilfe oder Verbindungen nach außen operieren. Denn um ihre Radikalisierung in die Tat umzusetzen, braucht es Unterstützung – und wenn es nur ein gesellschaftliches Klima ist, in dem etwa rechte Sprache, Gedankengut und auch Verschwörungserzählungen tradiert, akzeptiert oder zumindest nicht abgelehnt werden.
Die Autor*innen unterscheiden in der Studie sieben verschiedene Mileus, die wie eine Zwiebel von außen nach innen immer kleiner werden, was dem Grad ihrer Radikalisierung und auch der angenommenen Anzahl der Personen im Milieu entspricht. Außen finden wir die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der Bevölkerung (etwa rassistische Einstellungen und Sprache), gefolgt vom autoritären Nationalradikalismus, meist repräsentiert durch Parteien wie die AfD in Deutschland oder die FPÖ in Österreich, VOX in Spanien, Front National, Forza Italia … you name it. Hier bewegen wir uns noch nicht im Rechtsradikalismus, auch wenn einzelne Teile der Parteien dort (also in die nächsten Milieus) hineinragen.
Es folgen das systemfeindliche Milieu mit rechtsradikalen Parteien und Kameradschaften, den Identitären und anderen Organisationen, dann das klandestine terroristische Planungs- und Unterstützungsmilieu, das direkt mit den terroristischen Vernichtungsakteuren auf der letzten Stufe in Kontakt steht. Die Menschen also, die Waffen besorgen, Fahrzeuge u.ä., mit Wissen um den Zweck, oder die Radikalisierung möglicher Akteure mental weiter verstärken.
Die Analyse stützt sich dabei in erster Linie auf Ergebnisse und Daten, die Heitmeyer schon im Vorgängerband Autoritäre Versuchungen von 2018 erarbeitet hat. Diese wiederum setzen Einstellungen, die durch die Langzeitstudien Deutsche Zustände und die »Mitte-Studien« erhoben werden, mit Fallzahlen und konkreten Fällen in Beziehung und ermitteln dadurch, wie ein gesellschaftliches Klima, gefächert in die oben beschriebenen Milieus, Gewalt von Rechts ermöglicht und befördert. Sie steht damit auf dem gleichen Fundament wie Deutschland rechts außen von Matthias Quent.
Rechte Bedrohungsallianzen macht schmerzlich deutlich, wie das langsame Abdriften der Mitte unserer Gesellschaft nach rechts einen Nährboden für Gewalt bildet, der immer fruchtbarer wird. In verschiedenen Verstärkungsspiralen koppeln sich Zivilgesellschaft, Politik und Presse dabei, sodass die AfD im inneren der Gewaltzwiebel starke Wirkungen auf die gesamtgesellschaftliche Stimmung ausüben kann, die sie wiederum weiter stärkt und durch Wahlergebnisse auch demokratisch legitimiert. Verschwörungsnarrative rund um Corona, den russischen Krieg gegen die Ukraine und die Klimakrise, aber auch politisches Versagen wie bei der Aufklärung der NSU-Morde verstärken dies noch weiter. Ein System von Abwärtsspiralen produziert dabei das Gefühl einer »entsicherten Unübersichtlichkeit«, die das Grundgefühl rechter oder ins Rechte neigender Milieus beschreibt.
Rechte Bedrohungsallianzen ist ein ebenso erschreckendes wie bestätigendes Buch, das Deutschland rechts außen von Matthias Quent perfekt ergänzt. Es lässt nur einen Schluss zu, und zwar dass entschiedenes zivilgesellschaftliches Handeln gegen jede rechte Tendenz vonnöten ist, um den autoritären Reflex zu unterbinden und Gewalt an der Wurzel zu packen.
Wilhelm Heitmeyer, Manuela Freiheit, Peter Sitzer: Rechte Bedrohungsallianzen | Suhrkamp / bpb | 325 Seiten | 18 Euro / 4,50 Euro | erschienen im Oktober 2020