Skispringen im heißesten Sommer: Ein Teaser, der vielleicht nur für einen Roman von Joshua Groß geschrieben werden kann. Prana Extrem ist ein Meilenstein im Werk des Nürnbergers, der sich von allem Vorherigen klar abhebt und doch eng verbunden bleibt.
Skispringen ist ein angesehener Wintersport. Mit der Vierschanzentournee und anderen Ereignissen wird er jeden Winter zelebriert. Es ist vielleicht der Wintersport, mit dem ich noch am wenigsten von allen anfangen kann. Es selbst machen – gut, das verstehe ich. Es mir im Fernsehen anschauen – wozu? Aber das gilt ja am Ende für jeden Sport, und vielleicht ist mir als Flachlanddepp ja auch der Wintersport einfach nur maximal fern.
Die Chancen stehen auch gut, dass das so bleiben bzw. sich sogar noch weiter entfernen wird. Denn in einer Welt, die sich beständig weiter erwärmt, wird es zwar weiterhin Winter geben, aber die Spannen werden immer kürzer und unvorhersehbarer werden. Hinzu kommen Extremereignisse, die öfter als bisher auftreten. Schlechte Zeiten für einen witterungsabhängigen Sport, der alternativ nur mit extrem hohem Energieeinsatz betrieben werden kann – auch nicht gerade ein Joker in Zeiten der Energiekrise.
Joshua Groß holt das Skispringen daher kurzentschlossen in einen unglaublich heißen Sommer. Sein zweiter Roman Prana Extrem spielt größtenteils in Österreich, wo sich der Protagonist und Ich-Erzähler Joshua mit dem jungen Skisprungtalent Michael und dessen Schwester und Trainerin Johanna anfreundet. Zusammen mit Joshuas Freundin Lisa verbringen sie zusammen einen Sommer in Kurbruck, wo die Österreicher*innen herkommen und Michael für die Nationalmannschaft trainiert.
Die vier stellen das Hauptensemble des Romans, der aber vor Nebenfiguren strotzt, die immer wieder hinzutreten und die heile kleine Kommune stören oder aufmischen. Wir begleiten sie auf Michaels Weg zu Turnieren, auf denen er sich hervortun will, erleben immer wieder kleine, dope-verrauchte Anekdoten und Ereignisse mit und durchleben so den Sommer mit den Vieren. Verwoben wird das Ganze mit einer Vielzahl von Motiven, die den Text in sich strukturieren und sein Netz enger ziehen, genau wie die Groß-typischen Kultur- und Subkultur-Referenzen und Zitate. Das stärkste Motiv ist die Libelle.
Schau, sagte ich zu Lisa.
Sie setzte über zu mir. Arm in Arm beobachteten wir die Libelle, ihren pulsierenden Körper, ihre dornigen Klauen, ihre vier stark geäderten Flügel. Obwohl die Libelle riesig war, kam sie uns nicht monströs vor; sie war nur die Ausgeburt einer mutierenden Welt. Wir selbst waren es, die uns darin anpassen mussten. Wir atmeten ruhig, ohne Schauder.
Prana Extrem schafft es so wie schon der Vorgänger Flexen in Miami, ohne zusammenfassbare Plotarbeit einen intertextuell dichten und in sich schlüssigen Text zu gestalten, den ich tatsächlich kaum weglegen konnte. Er hebt sich aber auch insofern stark von Flexen in Miami und der Textsammlung Entkommen ab, dass er abgefahrene, absurde Einfälle minimiert und sich auf die Dynamik zwischen den Personen einlässt und diese in den Mittelpunkt stellt. So kommt Prana Extrem komplett ohne offensiv trippige Effekte aus, kreiert aber trotzdem eine trippige Stimmung, die so in der deutschen Literatur niemand sonst hinbekommt. Die mittlerweile zur Trademark gewordene Slacker-Sprache, die Referenzen, die irgendwie abgrundtiefe Entspannung des Textes gemischt mit immer noch abgedrehten, aber eben nicht zu überdrehten Einfällen, perfektionieren das, worauf Joshua Groß bisher hingearbeitet hat.
So ist es eine wahre Freude, mit dem Joshua des Romans in einer sich immer weiter erwärmenden Welt zu schwitzen, einem sterbenden Sport zuzuschauen und mit den Vieren in Kurbruck trotzdem einfach das Beste aus der Situation zu machen. Dabei die Libellen an sich vorbeiziehen zu sehen, diese jahrmillionenalten Boten aus einer anderen, lange vergangenen Welt, die uns aber wahrscheinlich ewig überleben werden. Und Chupa Chups mit Joshua zu lutschen, immer und immer wieder.
Prana Extrem ist ein wunderbarer Roman, der sich auf das Wesentliche beschränkt und damit seine eigenen Stärken perfekt in Szene setzt. Ein Roman, der genauso trippig wie konzentriert, abwegig wie klug ist und damit über die komplette Länge begeistern kann, ohne großartig einen roten Faden auszuwerfen. Chapeau.
Joshua Groß: Prana Extrem | Matthes & Seitz Berlin | 301 Seiten | 24 Euro | erschienen im August 2022