Sharon Dodua Otoo: Adas Raum

Von historischen Kontinuitäten, aber (fast) ohne rebellische Frühstückseier: In Sharon Dodua Otoos Debütroman Adas Raum wird das Erzählprinzip ihres Bachmann-Texts weitergesponnen und auf die gesamte Neuzeit ausgespannt – einnehmend und anspruchsvoll.

Es war eine kleine Sensation, als Sharon Dodua Otoo beim Bachmann-Preis ihren Text mit Herrn Göttrup und dem störrischen Frühstücksei las, das die Groteske erzählt. Mit diesem ungewöhnlichen Verfahren schaffte sie es nicht nur, den Preis als erste Schwarze Person zu gewinnen, sondern auch, deutsche Spießigkeit äußerst subtil und humorvoll mit ihrer kolonialen Vergangenheit zu konfrontieren. Adas Raum tritt in die kleinen eiförmigen Fußstapfen, legt aber einen deutlich größeren Rahmen an.

Der Roman beginnt mit drei parallelen Strängen, die im von Portugal kolonialisierten heutigen Ghana des 15. Jahrhunderts, im London des 18. Jahrhunderts und 1945 im KZ Mittelbau-Dora verortet sind. Im Laufe des Romans werden diese Stränge dann von einer überzeitlichen Rahmenhandlung und einem Strang in der Berliner Gegenwart ergänzt. Geographisch beschreibt der Roman also eine Achse zwischen Afrika und Europa, zeitlich geht es vom Beginn der Kolonialisierung über den ersten Höhepunkt der europäischen Industrialisierung zum Holocaust und bis ins Heute mit all seinen verschiedenen Problemen.

Erzählt werden die parallel konstruierten Stränge jeweils wie im Bachmann-Text von einem Objekt. Erst ist die Erzählerin ein Besen, dann ein Türklopfer, dann ein KZ-Bordellraum, schließlich ein britischer Reisepass. Die Erzählerin ist aber immer die Gleiche, ein gottähnliches Wesen, das über der Zeit existiert und zusammen mit Gott (einer Frau, das nebenbei) die Geschichte von Ada begleitet. Denn auch Ada zieht sich als Hauptperson in allen Strängen durch den Roman, allerdings weiß sie jeweils nichts von ihren früheren Körpern und Leben.

Wir bereiteten uns auf die nächste Schleife vor – es war wieder so weit. Gott nahm die Form einer Brise an. Wie sie es schaffte, so anmutig durch die Gegend zu driften, schüchterte mich einigermaßen ein – trotzdem machte ich es ihr nach und wurde ebenso eine Brise. Möglicherweise klingt das einfach, aber ich sage euch: Reisigbesen, Türklopfer und Zimmer, das sind greifbare Gegenstände. Sie sind klar umrissen, einigermaßen beständig und haben eine monothematische Funktion. Brisen sind eindeutig anders.

Neben all diesen Kontinuitäten und Entwicklungen tritt noch eine letzte, die das Thema des Romans dann auch endgültig festmacht: ein Armband, das Ada in Ghana verliert, in England wiederfindet, ihr im KZ gestohlen wird und schließlich in der Gegenwart als Beutekunst wieder auftaucht. Hat vorher schon alles in diese Richtung gedeutet, ist hiermit das Thema des Kolonialismus klar.

Adas Raum behandelt es aber indirekt, indem sich die verschiedenen Stränge darum legen, es einkreisen, und damit ein Konstrukt aus Schleifen bilden, die sich durch die Zeit bis heute winden. Die einzelnen Handlungen verbinden das große historische Thema auf individueller Ebene mit Formen der Diskriminierung, denen Frauen in ihrer jeweiligen Zeit ausgesetzt sind. Damit ergibt sich eine Geschichte der Diskriminierung, der Unterdrückung von Frauen und darüber hinaus des aus europäischer Perspektive Fremden und Anderen, auf die die Herrschaft des weißen Mannes zementiert wurde.

Adas Raum kann damit auf allen Ebenen begeistern. Der Roman sprüht vor kreativen Einfällen, vor Humor und Abwechslung, und ist dabei nie flach oder beliebig, sondern immer konzentriert und fokussiert. Ein bemerkenswertes Buch, das ebenso leicht wie schwer, einfach wie komplex ist und mit vielen kleinen Strichen ein großes Bild zeichnet, das sich gerade in der Rückschau auf den Roman immer stärker und deutlicher zusammensetzt. Ein Roman, der nachwirkt.

Sharon Dodua Otoo: Adas Raum | S. Fischer | 320 Seiten | 22 / 14 Euro (HC/TB) | erschienen im Februar 2021

Kategorie Blog, Rezensionen
Autor

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

2 Kommentare

  1. Vielen Dank für deine Besprechung, die auch eine Erinnerung ist. Eine Erinnerung daran “Adas Raum” endlich zu beginnen. Ich bestellte es zu Jahresbeginn, vermutlich war es eine Besprechung in einem anderen Blog die mich dazu brachte und dann ging es irgendwie unter, wie es eben passiert.

    Deine Besprechung, die wieder neugierig macht, dient also als Erinnerung und passt heute an diesem Tag ganz prächtig. Ich habe vor kurzem mit GRM von Sibylle Berg begonnen und plane im Februar einen Theaterbesuch, da die von mir geschätzte Sibylle Berg aber nicht jeden Tag passt oder manchmal ob der drastischen Formulierungen nur in kleinen Dosen zu genießen ist, war es Zeit ein weiteres Buch aufzuschlagen. Adas Raum soll es sein. Ich wünsche dir ein erholsames Wochenende.

    • Danke für deinen Kommentar, Konstantin! Das Buch lohnt sich sehr ist nach der geballten Ladung Schwärze von GRM bestimmt eine gute Abwechslung.

      Dir auch noch ein schönes Wochenende damit!

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