Fen Verstappen: Lebenslektionen meiner Mutter

Was wird aus einer Familie, wenn die Mutter, die immer das Zentrum für alle war, plötzlich nicht mehr wie vorher ist? Fen Verstappen erzählt in ihrem Debüt Lebenslektionen meiner Mutter von Zusammenhalt, Tragödie und Hoffnung.

Fen Verstappen, Lebenslektionen meiner Mutter

Einmal im Jahr fährt die ganze Familie nach Paris, um dort einen Showroom zur Modemesse herzurichten. Die Mutter ist nämlich Modedesignerin, Tochter Biek stellt Handtaschen her und Sohn Tijn Schmuck. Die zweite Tochter, zugleich die Ich-Erzählerin des Romans, agiert eher im Hintergrund, kümmert sich um die Organisation und ist hauptberuflich als Werbetexterin tätig. Die Mutter hat die Kinder größtenteils allein großgezogen, sie sind ein eingespieltes Team. Das zeigt sich vor allem jährlich auf der Modemesse in Paris.

Doch als die schlagfertige und forsche Mutter plötzlich einen Schlaganfall erleidet und von heute auf morgen nicht mehr richtig sprechen und sich bewegen kann, ändert sich alles. Ohne das Familienoberhaupt, das immer alle Fäden in der Hand hielt, müssen sich die Geschwister neu sortieren, enger zusammenrücken und ihre Mutter aus einem gänzlich neuen Blickwinkel betrachten.

Wie soll man alles wieder ins Lot bringen, wenn mit der Mutter eine ganze Familie untergeht?

Für die Ich-Erzählerin ist dies auch ein Anlass zurückzublicken auf die Frau, die ihre Mutter vor dem Schlaganfall war, auf ihre unangepassten Lebenslektionen, die sie ihren Kindern mit auf den Weg gegeben hat und natürlich auf das Verhältnis zwischen den beiden, das nicht immer einfach war und sich nochmal neu zusammenfügt, als die Ich-Erzählerin selbst schwanger wird. Doch bei all der Trauer um den Verlust der Mutter, wie sie sie kannten, schimmert auch immer ein Funken Hoffnung durch den Text, dass die Geschwister das neue Leben irgendwie hinbekommen, stärker zusammenwachsen und sich selbst nochmal neu finden.

[…] aber manchmal denken wir auch an Sartre. Denn wir beginnen erst zu atmen, sobald wir von unserer Mutter abgenabelt werden.

Fen Verstappen schafft es, in Lebenslektionen meiner Mutter auf sehr wenig Raum das Porträt einer vaterlosen und trotzdem vollständigen Familie zu zeichnen – mit all dem Ballast der Vergangenheit, den eingeschlichenen Rollenmustern, aber auch der bedingungslosen Liebe. Sie verwendet dafür eine reduzierte und pointierte Sprache, die gerade wegen ihrer Kargheit die Geschichte und Emotionen perfekt transportiert. Großes Lob an dieser Stelle auch an die Übersetzerin Janine Malz.

Mich hat Lebenslektionen meiner Mutter wirklich begeistert – es ist bewegend, erzählt nahbar von fragilen Familienbanden und besticht durch eine Sprache, die noch lange nachwirkt. Ich bin ja eh Fan niederländischer Literatur (Rijneveld, Vekemans, Schermer), wie ich jetzt wieder feststellen musste. Fen Verstappens Debüt bekommt auf jeden Fall einen Ehrenplatz zwischen meinen Lieblingsbüchern aus dem Niederländischen.

Fen Verstappen: Lebenslektionen meiner Mutter | Aus dem Niederländischen von Janine Malz | Droschl | 136 Seiten | 22 Euro | Erschienen im Februar 2023


Disclaimer: Ich arbeite bei Kirchner Kommunikation, die mir dieses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben. Die Rezension spiegelt nur meine eigene Meinung wider und wurde weder beauftragt noch bezahlt.

Kategorie Blog, Indiebooks, Rezensionen

Aufgewachsen im schönen Brandenburg lernte ich schon früh die ländliche Einöde lieben und verteufeln zugleich. Heute kehre ich immer wieder gern heim, wohne allerdings lieber in urbanen Räumen. Lesen geht ja zum Glück überall und bietet Ausflüge in diverse Welten. Hier schreibe ich über meine Lektüren.

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