Aufwachsen in der Dunkelheit Norwegens: Gott hassen von Jenny Hval ist ein in allen Belangen höchst ungewöhnlicher Coming-of-Age-Roman. Also überaus interessant.
Woran denkt man so bei Norwegen? Da ist Öl (also das schwarze, nicht das Bier), da ist das Meer und Fisch, gekochter Käse, unendlich viele Wälder und natürlich Fjorde. Das ist sozusagen die helle Seite, die Vorderseite vielleicht. Denn da sind auch noch die endlosen dunklen Wintermonate, Black Metal, brennende Kirchen und die abgründigen Gesichter in den Gemälden von Edvard Munch.
Okay, die zweite Hälfte hätte ich ohne Gott hassen von Jenny Hval vielleicht anders verfasst, aber der Roman hat einfach einen sehr bleibenden Eindruck hinterlassen. Denn natürlich kennt man das alles irgendwie, manches mehr, manches weniger, und doch ergibt es in der Mischung, die der Roman erzeugt, einen ganz eigenen Drive.
Gott hassen ist ein Coming-of-Age-Roman der düstersten Sorte. Die Protagonistin erzählt ihre Jugend aus einem immer noch nahen, etwas späteren Zeitpunkt, der aber noch zulässt, dass alles sehr unmittelbar und nicht überreflektiert erfahrbar wird. Allerdings darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Gott hassen nicht wirklich eine Handlung gibt. Hier werden vielmehr die Reflektionen einer Heranwachsenden wiedergegeben, leicht ungeordnet und assoziativ, aber mit großer sprachlicher und thematischer Anziehungskraft.
Südnorwegen in den 1990er Jahren erscheint hier als weißes, konservatives Höllenszenario, das von Spießigkeit, Alltagsrassismus und patriarchalen Geschlechterrollen geprägt ist. Kein Wunder, dass die Hauptfigur nach Auswegen sucht. Sie findet sie vor allem in der Kunst, Musik, im Film, in der Malerei. So spielt sie mit ihren Freundinnen zusammen in einer Black Metal-Band, seziert alte Black Metal-Videos, dreht selbst Musikvideos, liest den Hexenhammer, und kommt dabei immer wieder auf ein Gemälde zurück: Pubertät von Edvard Munch.
In dem Gemälde findet sich alles, was die jungen Frauen erfahren, alle Unsicherheit, Verletzlichkeit und aller Anpassungsdruck, die ihnen von der Welt um sie herum vermittelt werden. So fliegen die Gedanken mal in die eine, mal in die andere Richtung und assoziieren mit den anderen Werken und Eindrücken. Dabei ist auch der technologische Umbruch der 1990er Jahre maßgeblich, denn das Internet verändert die Verfügbarkeit von allem erdenklichen Material komplett, Handys sorgen plötzlich für eine zuvor nicht gekannte Erreichbarkeit.
Und doch steht am Ende immer wieder ein okkulter, dunkler Kern, um den sich Black Metal-Ästhetik, die tiefe Finsternis der norwegischen Wälder, die Hexengeschichten und die Munch-Bilder drehen. Gott ist hier weniger ein religiöses als ein patriarchales Symbol, das in einer Art Hexensabbat dekonstruiert wird. Gott hassen erzählt die Geschichte dieser kompletten Ablehnung einer Gesellschaft, die sich selbst zur Erhaltung althergebrachter Machtverhältnisse geißelt.
Jenny Hval hat mit Gott hassen ein neues prototypisches Kultbuch geschrieben. Es erzählt auf den Punkt genau über das Aufwachsen in erzkonservativen Umständen und wie sich alles in den jungen Menschen gegen die Gesellschaft stemmt. Definitiv kein Schmöker, aber ein kleines dunkles Meisterwerk, das in Erinnerung bleibt.
Jenny Hval: Gott hassen | Aus dem Norwegischen von Clara Sondermann | März Verlag | 240 Seiten | 22 Euro | Erschienen im Februar 2023