Birgit Schneider: Der Anfang einer neuen Welt

Hoffnung in der dunklen Zeit: Birgit Schneider schaut in ihrem Buch Der Anfang einer neuen Welt auf den Klimawandel und sucht nach Möglichkeiten, ihn zu vermitteln, ohne in Fatalismus zu verfallen und zu verstummen.

Birgit Schneider: Der Anfang einer neuen Welt

Es könnte so einfach sein. Ich schreibe heute diese Zeilen auf einem Laptop, dessen nächste Akkuladung garantiert ohne deutschen Atomstrom sein wird. Ein später Sieg für die Anti-Atombewegung, der in den letzten Jahrzehnten durch die Abschaltung aller bis auf die letzten drei AKW vorbereitet und nun vollendet wurde. Ein Verlust von gut sechs Prozent der deutschen Stromproduktion, der durch Erneuerbare aufgefüllt werden muss und – in Wind- und Sonnenzeiten – locker von diesen übertroffen wird.

Nun müsste sich die Politik aufmachen, um Speicherkraftwerke weiterzuentwickeln, zu planen und zu bauen, um diesen günstigsten Strom von allen auch in Flauten nutzen zu können und nie wieder Windräder abschalten oder drosseln zu müssen. Doch anstatt dies seit 2011 zu tun und in den vergangenen und kommenden Monaten genau darüber zu diskutieren, dreht sich die Diskussion durchgängig um einen möglichen – aber seit längerer Zeit schon praktisch unmöglichen – Verbleib der AKW am Netz. Von noch absurderen Spitzen mal ganz abgesehen.

Und warum? Weil in den vergangenen zwölf Jahren praktisch nie ernsthaft ohne fossile und Atomkraftwerke geplant wurde, sondern stattdessen den mächtigen Konzernen nach dem Mund geredet wurde, von CDU und SPD in erster Linie. Nun haben wir den Salat, gemischt aus einem grünen Minister, der gezwungenermaßen durch die Golfstaaten tourt und Gas kauft sowie Kohlekraftwerke länger am Netz lassen will, und den anderen Parteien, denen keine Anbiederung an niedere Instinkte zu billig erscheint, um die Versäumnisse der Vergangenheit unter den Teppich zu kehren. Wer will da nicht verzweifeln und hinwerfen im Angesicht stetig steigender Temperaturen und Meeresspiegel?

Gerade diese verzweifelte Sprachlosigkeit, die in einen Teufelskreis aus Hoffnungslosigkeit gespeist wird und diese dabei immer größer werden lässt, ist der Antrieb von Birgit Schneiders Sachbuch Der Anfang einer neuen Welt. Wie wir uns den Klimawandel erzählen, ohne zu verstummen. Darin versucht sie zwei Dinge: Einmal geht es darum, den Klimawandel als überzeitliches und schwer zu fassendes Phänomen mit unserem täglichen Erleben zu verbinden, und in einem zweiten Schritt diese Verbindung, wenn sie gelingt, auf kreative Weise zu kommunizieren, sodass mehr Menschen sie als größte Herausforderung unserer Zeit erkennen und dabei auch den eigenen Handlungsspielraum sehen, egal, wie klein er auch zunächst erscheinen mag.

Mich hat hier vor allem der erste Teil überzeugt, was vermutlich an der Perspektive liegt und implizit auch den zweiten für mich gleich mit erledigt. Dazu später mehr. Hier schreibt eine Kultur- und Medienwissenschaftlerin über den Klimawandel. Im Gegensatz zu Naturwissenschaftler*innen wählt sie andere Bilder, andere Zugänge zur Erklärung des Phänomens, die für mich (der allerdings auch nicht überzeugt werden muss) leichter zugänglich sind.

Weiterhin konzentriert sie sich nicht allein auf ein Predigen der Tatsachen und schaut dann zusätzlich noch, wie sie gut vermittelt werden können. Vielmehr bietet Der Anfang einer neuen Welt einen sehr differenzierten und gleichzeitig sprachlich leicht zugänglichen Blick auf die Klimagerechtigkeitsbewegung, die sie in soziokulturellen, postkolonialen und psychologischen Strukturen betrachtet und damit wunde Punkte auftut, die es zum einen zu beseitigen gilt, die zum anderen aber auch dazu beitragen können, sie nicht einfach als Ganzes abzutun.

Der Kampf gegen den Klimawandel muss als das gesehen werden, was er ist: ein work in progress, ein Prozess, der nicht perfekt ist, aber immer besser gemacht werden muss. Darin liegt gerade die Hoffnung, nämlich immer noch wahnsinnig viel Raum nach oben zu haben und nicht am Ende des Kampfes zu sein. Das macht Der Anfang einer neuen Welt sehr lesenswert. Die Aufzählung verschiedener künstlerischer Projekte und Initiativen, die die Kapitel abschließen, kam mir dabei eher wie Beiwerk vor, das etwa für Pädagog*innen bestimmt viel interessanter ist als für mich.

Der Anfang einer neuen Welt ist ein wichtiges Buch mit innovativem Ansatz, das eher geisteswissenschaftlich geprägte Menschen besser abholen kann als naturwissenschaftlich argumentierende Titel, und es schafft, die Hoffnung am Leben zu halten. Dabei macht es auch noch Lust auf Aktivismus. Besser geht es ja kaum.

Birgit Schneider: Der Anfang einer neuen Welt | Matthes & Seitz Berlin | 284 Seiten | 22 Euro | Erschienen im Februar 2023

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Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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