Hier kommt der zweite Teil unserer Shortlist-Vorstellung des WORTMELDUNGEN Ulrike Crespo Förderpreises für kritische Kurztexte 2023. Diesmal mit Giorgio Ferretti, Clara Heinrich und Louise Kenn.
Beim WORTMELDUNGEN Förderpreis werden wieder neue Stimmen zu relevanten gesellschaftlichen Themen gesucht. Zehn Autor*innen sind mit ihren Texten über die Möglichkeit, den Klimawandel literarisch zu vermitteln, für die Shortlist nominiert. In drei Beiträgen stellen wir sie euch vor, bevor im November dann die drei Preisträger*innen gekürt werden. Wie immer könnt ihr alle Texte auf der WORTMELDUNGEN-Homepage nachlesen – wir verlinken sie aber auch im Folgenden nochmal.
Giorgio Ferretti: Übergesetzung
In Übergesetzung von Giorgio Ferretti kreuzen sich mehrere Themen. Die zwischen Erinnerung und Wunsch springende Erzählung spielt vor dem Hintergrund einer norditalienischen Kleinstadt in den Bergen, in die der Erzähler zu einer Hochzeit zurückkehrt. Doch die Berge sind hohl, werden immer weiter ausgehöhlt. Der Raubbau an der Natur lässt deren Schönheit fahl erscheinen, hinter die Interessen des Kapitals zurücktreten. Eines Kapitals, wegen dem auch die Eltern des Erzählers ihre Heimat in Süditalien verließen. Kein Wunder, dass sich der Erzähler unsichtbar vorkommt, hineingeworfen in eine Welt, in der er keinen Platz findet, noch nie gefunden hat. Umweltzerstörung, Klassismus und Coming-of-Age finden so feinfühlig zusammen in diesem anschlussfähigen Text.
Wir haben Giorgio Ferretti ein paar Fragen zum Text gestellt:
Warum hat dich das von Judith Schalansky ausgerufene Thema zum Wortmeldungen Förderpreis 2023 animiert, einen eigenen Text zu schreiben?
Ich habe den Text während des Lockdowns 2021 angefangen, als ich aus verschiedenen Gründen nicht zurück in meine Heimatstadt fahren konnte und habe vielleicht deswegen über die Rückkehr einer fiktiven Figur in eine fiktive Stadt geschrieben. Durch Fantasie habe ich versucht, von einer drohenden Situation zu erzählen, und gleichzeitig auch davon, was passieren würde, in einer Welt, in der diese Situation gar nicht erst vorhanden sein könnte.
Schick uns ein Foto/gemaltes Bild/Meme/YouTube-Video, das für deinen Text stehen könnte oder dich dazu inspiriert hat und schreib ein paar Sätze dazu.
Die Performance von Martina Hefter und mein Text sind sehr, sehr unterschiedlich, aber bevor ich diese Performance gesehen habe, hatte ich viele Fakten, Ideen und Lust, diesen Text zu schreiben. Nachdem ich das Video mehrmals gesehen hatte, hat sich alles zusammengefügt. Vielleicht weil die Performance den Untertitel trägt »Ein Saal für Euch da draußen« und ich wollte auch irgendetwas für ein »Ihr« schreiben. Obwohl ich nicht genau weiß, wer dieses »Ihr« überhaupt ist.
Wenn es nach dir ginge: Was sollten die Lesenden aus deinem Text mitnehmen?
Die Figur in dem Text stellt sich Fragen über zwei Bewegungen: Das Sich-Entfernen aus Materie und das Eindringen in die Materie. Ich würde mir nur wünschen, dass Lesende sich auch Fragen über diese zwei Bewegungen stellen.
Vielen Dank für deine Antworten.
Giorgio Ferretti (*1990) studiert seit 2019 am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2022 erhielt er den exil-Dramatiker*innenpreis und 2023 das Stipendium SchreibZeit der Stiftung Niedersachsen. Veröffentlichungen u.a. in Akzente, Bella Triste und PS – Politisch Schreiben.
Clara Heinrich: Puszta
Clara Heinrich entführt uns in ihrem Text Puszta in die gleichnamige ungarische Landschaft. Doch eigentlich geht der Blick deutlich weiter, er krümmt sich gewissermaßen von der Natur in die Kultur und eröffnet ein intertextuelles Tableau. Der Essay streift die Texte verschiedenster Denker*innen wie Anna Tsing, Volha Hapeyeva und Bruno Latour. Verschränkt wird diese gewissermaßen hochkulturelle Sicht mit der Gegenfolie, nämlich dem Dorf, oder besser: dem Weinberg, der sich in Zeiten des Klimawandels immer weiter verändert – ob man nun an diesen »glaubt« oder nicht. Ein überaus facettenreicher Text, der auf unterschiedlichsten Ebenen souverän agiert.
Wir haben Clara Heinrich ein paar Fragen zum Text gestellt:
Warum hat dich das von Judith Schalansky ausgerufene Thema zum Wortmeldungen Förderpreis 2023 animiert, einen eigenen Text zu schreiben?
Mit welcher Sprache und welcher Form ich mich Krankheit, vor allem der chronischen Erkrankung ME/CFS, und den spürbaren Auswirkungen des Klimawandels bei uns in der Region nähern kann, beschäftigt mich tagtäglich in all meinen Texten. Ich musste mich also eher für einen Text entscheiden.
Schick uns ein Foto/gemaltes Bild/Meme/YouTube-Video, das für deinen Text stehen könnte oder dich dazu inspiriert hat und schreib ein paar Sätze dazu.
Wenn es nach dir ginge: Was sollten die Lesenden aus deinem Text mitnehmen?
Darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich gehe anders an den Schreibprozess heran. Und ich möchte so eine Absicht schon gar nicht in einen Text hineinschreiben. Als Leserin mag ich das auch nicht. Wenn ich etwas Bestimmtes mitnehmen »soll«, habe ich direkt den Impuls mich dem zu entziehen.
Vielen Dank für deine Antworten.
Clara Heinrich (*1993) studiert im Master Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Sie lebt im Burgenland und betreibt eine Marktgärtnerei mit Fokus auf Wintergemüse und alte Gemüsesorten. Gedichte erschienen zuletzt in der Edit.
Louise Kenn: Baby, be my technofix
Hoffnung ist wichtig, doch nur begründete Hoffnung führt auch zu positivem Handeln. Gerade junge Menschen kommen aber nicht mehr wirklich zu dieser tiefen Begründung, um sich eine rosige Zukunft auszumalen. Andere schaffen dies durch eine manchmal blinde Technikgläubigkeit, die verspricht, dass unser Wohlstand, unser Lebensstil sich in einer nachhaltigen Transformation nicht ändern müssen. Baby, be my technofix von Louise Kenn artikuliert diese Ängste in einer höchst subjektiven Stimme, die selbst keine Gewissheiten mehr kennt, außen aber immer mehr an Mauern fester Überzeugungen stößt. Er fragt danach, ob der Ausbau der Windkraft allein uns retten kann, ohne dass weitere Änderungen nötig sein werden – denn gerade das scheinen viele Programme zu suggerieren.
Wir haben Louise Kenn ein paar Fragen zum Text gestellt:
Warum hat dich das von Judith Schalansky ausgerufene Thema zum Wortmeldungen Förderpreis 2023 animiert, einen eigenen Text zu schreiben?
Die immer wiederkehrende Ohnmacht, die ich spüre, wenn ich konfrontiert mit unserer immer dystopischer werdenden Realität bin, die sich so beiläufig in unseren Alltag einfügt. Von den Nachrichten der Waldbrände auf meinem Screen bis hin zu den neuen Aufklärungsstickern in der Berliner U-Bahn mit Tipps zum Umgang mit Hitzewellen. Es wäre einfacher, die Augen zu verschließen, damit man die Ohnmacht nicht mehr spüren muss. Aber ich glaube, wir müssen Texte schreiben, die unsere diffusen Gefühle in Worte fassen, so dass wir die Katastrophe emotional spüren können. Fakten bringen uns nicht mehr weiter. Es ist Zeit, zu fühlen.
Schick uns ein Foto/gemaltes Bild/Meme/YouTube-Video, das für deinen Text stehen könnte oder dich dazu inspiriert hat und schreib ein paar Sätze dazu.
Windräder üben eine wahnsinnige Faszination auf mich aus. Wenn ich nachts auf heißem Asphalt an ihnen auf der Autobahn vorbeifahre und sie mir mit ihren rot blinkenden Lichtern eine Zukunft versprechen, in der es in Ordnung ist, dass ich Auto fahre. Zeugen einer Zivilisation, die immer noch glaubt, dass sie mit Technik gerettet werden kann. Sie erlauben mir das Gefühl der Hoffnung auf eine Zukunft, die eine hohe Lebensqualität aufweist. Ich weiß, dass sie lügen. Aber für eine Sekunde ist alles gut.
Wenn es nach dir ginge: Was sollten die Lesenden aus deinem Text mitnehmen?
Vielleicht einfach nur das Gefühl, verstanden zu werden. Zu wissen, dass man nicht allein ist mit seiner Ohnmacht. Vielleicht den Mut, hinzusehen, und die Ohnmacht auszuhalten.
Vielen Dank für deine Antworten.
Louise Kenn (*1992) studierte Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Sie ist freie Autorin und schreibt Essays, Prosa und Lyrik, wobei sie letztere in ständigem Austausch mit der bildenden Kunst versteht. Sie veröffentlichte in verschiedenen Anthologien und Zeit Online. Sie ist Preisträgerin des Leonhard und Ida Wolff Gedächtnispreises 2021 und war als Temnitzschreiberin Stipendiatin der Region Temnitz 2021.
WORTMELDUNGEN – Der Literaturpreis für kritische Kurztexte wird jährlich von der Crespo Foundation ausgelobt. Er ist mit 35.000 Euro dotiert und wird für herausragende literarische Kurztexte verliehen, die sich mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen. Der mit 15.000 Euro dotierte gleichnamige Förderpreis schließt an den Literaturpreis an und soll junge Autor*innen motivieren, in Auseinandersetzung mit dem Thema des Gewinner*innentextes eine eigene literarische Position zu formulieren.
Disclaimer: Dieser Blogbeitrag ist Teil einer bezahlten Kooperation mit der Crespo Foundation.