Maxim Biller: Mama Odessa

Erinnerungen an die Mutter: Mama Odessa von Maxim Biller erzählt von einer komplexen Mutter-Sohn-Beziehung und der Erinnerung an Odessa als Sehnsuchtsort.

Die Beziehung zu den Eltern ist ja immer ein komplexes Gebilde. Sie wächst über Jahre und Jahre und hört einfach nicht auf damit, da hilft auch kein Erwachsenwerden. Schicht um Schicht lagert sich ab, jedes Jahr kommt eine dazu, mit immer neuen Ausprägungen.

Als wäre das noch nicht komplex und konfliktträchtig genug, kommt im neuesten Roman von Maxim Biller, Mama Odessa, noch ein zweiter Faktor hinzu: Mutter und Sohn schreiben, und zwar immer stark autobiografisch gefärbt. Es gibt also nicht nur die normalen jährlichen Schichten alles Gesagten und Ungesagten, sondern auch noch das Geschriebene und die gegenseitige Rezeption. Und natürlich eine immer untergründig schwelende Konkurrenzsituation.

Einiges los also in Mama Odessa, doch merkt man das dem Buch erst mal kaum an. Mischa Grinbaum erzählt in kurzen Episoden aus seinem Leben, die immer mit seiner Mutter in Zusammenhang stehen, mal enger, mal lockerer. Der Ton ist zurückgenommen und erinnernd, Biller-typisch aber natürlich nicht ohne Spitzen in alle erdenklichen Richtungen. Sein Sound ist unverkennbar da, diese warme Ruhe, unter der es zwischenmenschlich brodelt, gibt dem Roman sein Gesicht.

Eher im Vorbeigehen setzt sich in den Episoden neben der im Vordergrund stehenden Mutter-Sohn-Beziehung auch eine zweite Geschichte zusammen, und zwar die der Familie Grinbaum. Mama Odessa entwirft eine prototypische jüdische Familiengeschichte, die von der Ukraine nach Deutschland wandert – äußerst passend zum Krieg in der Ukraine auf der einen und dem stark zutage tretenden Antisemitismus in Deutschland auf der anderen Seite.

Mir war Mama Odessa in Teilen schon etwas zu sehr zurückgenommen, das sehr zaghafte Tempo und die immer nur nebenher erzählten Geschichten haben es mir etwas schwerer als nötig gemacht, allem die verdiente Aufmerksamkeit zu schenken. Doch für Fans von Billers Romanen ist das natürlich keine Abschreckung, denn sie leben von Sound und Stimmung, und das gibt es hier wieder in gewohnt treffsicherer Form.

Maxim Biller: Mama Odessa | KiWi | 240 Seiten | 24 Euro | Erschienen im August 2023

Kategorie Blog, Rezensionen
Autor

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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