Von der Einöde und dem Verschwinden: Nincshof von Johanna Sebauer erzählt von einem Dorf im österreichischen Hinterland und dem Wunsch der Einwohner*innen nach kompletter Abschottung. Gute Unterhaltung und darunter eine gelungene Parabel.
In einer Welt, in der die Politik immer abstrakter, die Krisen immer vertrackter und die Lösungen in immer weiterer Ferne erscheinen, liegt der Wunsch danach, einfach kein Teil all dessen mehr zu sein, nah. Sich nicht mehr damit auseinandersetzen zu müssen, was genau geschieht, nicht auseinanderhalten zu müssen, wer welche Position einnimmt, alle Positionen zu bewerten, eine eigene Position zu entwickeln, vielleicht auch zu verteidigen. Sich ständig zu verhalten. Kein Teil der Welt mehr zu sein, erscheint wie ein Traum des leichten Daseins.
In Nincshof von Johanna Sebauer erleben wir den Versuch zu verschwinden auf einer kollektiven Ebene. Ein Dorf möchte verschwinden, Nincshof, irgendwo im österreichischen Hinterland nahe der ungarischen Grenze. Es war schon immer abgelegen, schon immer irgendwie versteckt, nur die Ausflügler kommen immer häufiger vorbei, jetzt, wo die Städte eng werden und Outdoor-Aktivitäten im Trend liegen. Es sind die ohrenbetäubenden Motorräder, die neunmalklugen Radfahrer und andere Städter, die den Dorfbewohnern immer wieder vermitteln, nicht gut genug zu sein, und ihr ruhiges Leben stören.
Ein Graus, der wieder aufhören muss, beschließt eine kleine Gruppe um den Bürgermeister. Sie setzt sich einen ambitionierten Plan: Nincshof von den Landkarten zu tilgen, die Erinnerung an den Ort zu löschen und damit ein für alle mal die Probleme, die von außen immer näher an sie heranrücken, loszuwerden. Zu verschwinden.
Der Roman erzählt in einem kollektiven Ansatz, fügt viele kleinere Stränge der Dorfbewohner*innen zusammen, um so ein Bild des Dorfes als Ganzem zu zeichnen. Die Geschichten sind meist leicht und unterhaltsam, es geht um aufsässige alte Damen, die in fremden Pools baden, um die Zucht exotischer Schafe und um die Gründungslegende von Nincshof. So entsteht ein lebendiges Bild des verschlafenen Dorfes, das ein wohlig warmes Gefühl hervorbringt, aber gleichzeitig auch die Enge des Dorflebens einfängt, die ohne Zweifel auch auf vielen Bewohner*innen lastet. Genauso wie die flirrende Hitze, die über der Puszta steht.
Der Roman liefert damit eine gelungene Parabel auf die Müdigkeit gerade ländlich geprägter Menschen ob der komplexen Welt, die sie umgibt, und den Wunsch nach einfachen Lösungen, sich von dieser zu lösen – was am Ende deutlich komplizierter ist, als die großen Kampfschreie annehmen lassen. Das Ganze wird sehr unterhaltsam dargeboten, sodass der Roman ein wunderbares Sommerbuch ist, das sich leicht und flockig liest und dabei noch eine lohnenswerte Geschichte erzählt.
Johanna Sebauer: Nincshof | DuMont | 368 Seiten | 23 Euro | Erschienen im Juli 2023