Eine Reise in die Vergangenheit: Mit Eigentum legt Wolf Haas einen überaus persönlichen Roman vor, der in die Vergangenheit der Mutter abtaucht und dabei zeitgenössische Themen im Vorbeigehen mitnimmt.
»Meins!« Der klare Besitzanspruch, der eine frühe kindliche Entwicklungsphase mit häufigen lauten Schreien begleitet und auf den Tod kein »Deins!« kennen will, begleitet uns, ob wir wollen oder nicht, doch ein Leben lang. Nicht umsonst ist das Eigentum, genauer das Privateigentum, der Kern des Neoliberalismus, den es zu schützen gilt wie den eigenen Augapfel. Das Teilen ist zwar eine soziale Fähigkeit, die Kindern zu lernen aufgebürdet wird, doch wird ihnen meist verschwiegen, dass auch Erwachsene oft nur teilen, wenn sie sich einen Vorteil davon versprechen – und sei es nur das gute Gefühl, selbstlos gehandelt zu haben.
Noch viel tiefer als in den Millenials, auch tiefer als in den Boomern ist Eigentum allerdings in der Generation derer verankert, die mindestens einen Weltkrieg bewusst miterlebt haben. Denn diese Menschen haben auch erlebt, was es heißt, plötzlich kein Eigentum mehr zu haben und ganz auf andere Personen und deren guten Willen angewiesen zu sein. Genau dies prägt die Welt der Mutter in Wolf Haas’ neuem Buch Eigentum.
Der kurze autofiktionale Roman erzählt die letzten drei Tage der Mutter vor ihrem Tod. Doch bieten diese Tage nur den Anlass, ihr Leben noch einmal Revue passieren zu lassen, ihr ein Denkmal zu setzen und sie literarisch zu würdigen. Nun wäre Wolf Haas aber nicht Wolf Haas, wenn dies nicht auf ebenso unterhaltsame wie literarische, und nicht zuletzt auch traurige Weise vonstatten gehen würde.
Im Mittelpunkt steht dabei das Haus, das die Mutter bis kurz vor ihrem Ableben noch bewohnt hat. Die Geschichte dieses Hauses und seiner wechselnden Besitzer und Funktionen erzählt dabei ebenso viel über das ländliche Österreich im gesellschaftlichen Wandel von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart wie über Haas’ Verhältnis zu seiner Mutter. Hinzu kommt die Geschichte seiner Mutter während des Krieges, eines hunderte Kilometer langen Marsches nach Hause und viele andere Anekdoten.
Dies alles wird in ständigen Sprüngen erzählt. Die Perspektive springt von einem Ort zum nächsten, springt durch die Zeiten, wiederholt und variiert bereits gesagtes in einem sprachlich durchgeformten, aber nie abgehobenen oder gekünstelten Reigen. Dabei bleibt aber das umkreiste Zentrum immer klar: die betrauerte Mutter und die Erkenntnis, dass die Last der Dinge, wie wir sie heute oft empfinden, kaum zu vergleichen ist mit der materiellen Not, nichts sein Eigen nennen zu können. Ein höchst persönlicher Roman, der unterhält wie berührt, dessen viele Wiederholungen auf kleinem Raum mich aber stellenweise auch mal genervt haben.
Wolf Haas: Eigentum | Hanser | 160 Seiten | 22 Euro | Erschienen im September 2023