Tim Staffel: Südstern

Die Zeit, die Zeit: In Südstern erzählt Tim Staffel eine so unwahrscheinliche wie atemlose Liebesgeschichte, dass sie nur wahr sein kann. Und schreibt dabei einen vortrefflichen Berlinroman.

Staffel, Südstern, Cover

Berlin, Berlin. Es gibt zahlreiche Filme und Bücher über die deutsche Hauptstadt, die immer einen ganz eigenen Flair verbreiten. Die Gegensätze von Glamour und Gosse, Modewelt und Müllhalde, Reich und Arm prallen in Berlin einfach sehr gut inszenierbar aufeinander. Vor allem natürlich, wenn der Blick von außen kommt, aber das gilt ja für alle Stadtromane und -filme.

Um Gegensätze geht es auch im neuen Roman von Tim Staffel, Südstern. Der gleichnamige Platz taucht zwar praktisch nicht auf, aber da er in Kreuzberg liegt, steht er wohl pars pro toto für den sagenumwobenen Berliner Alternativbezirk. Heute liegen gerade hier durch die zunehmende Gentrifizierung die Gegensätze ganz nah beieinander. Die seit den 1970er-Jahren zu großen Teilen migrantische Bevölkerung wird in einigen Szenespots wie dem Bergmann- und dem Wrangelkiez immer weiter durch hippe jüngere Menschen verdrängt, ist aber immer noch da.

In Südstern werden die beiden Gruppen durch Deniz und Vanessa verkörpert. Deniz ist Polizist, pflegt seinen kranken Vater in der gemeinsamen Zweizimmerwohnung und würde sich dementsprechend am liebsten teilen. Egal was er macht, er fehlt immer entweder auf der Arbeit oder zuhause, doch die Zeit reicht nie, das Geld auch nicht. Dass er in seinem Job dann noch mit allen Extremen des angespannten Viertels konfrontiert ist, trägt nicht zu einem gesünderen Lebenswandel bei.

Vanessa arbeitet in einer Bar, wo sie sich engelsgleich um die Kund*innen kümmert und ihnen die Wünsche von den Augen abliest. Diese enden aber nicht bei den Getränken auf der Karte, denn nebenbei – finanziell gesehen aber eher vor allem – handelt sie mit Drogen. Doch steht sie eben nicht mit Heroin und Gras im Park, sondern sucht gezielt nach Menschen, die ihren Lebensstil mit bestimmten Drogen noch etwas aufpolieren könnten. Das sind Politiker, DJs, Yuppies – zahlungskräftiges Publikum eben, das sich leicht um den Finger wickeln lässt und alles tun würde, um sich selbst weiter zu pushen.

Der Roman erzählt immer abwechselnd aus den Perspektiven der beiden, und zwar jeweils aus der ersten Person. Das verringert die Distanz zu ihnen auf ein Minimum, nimmt die Leser*innen mit in ihre Gedanken, teilt ihre innersten Ängste und Hoffnungen mit ihnen. Der Plot ist klassisch orchestriert, die beiden beginnen separat, nähern sich durch verschiedene Zufälle immer weiter an, bis sie irgendwie zueinanderfinden. Die Liebesgeschichte der Drogendealerin und des Polizisten ist dabei so unwahrscheinlich, dass sie eigentlich nur wahr sein kann, auch wenn gerade Vanessas Plot hier und da doch etwas sehr filmreif wirkt.

Bemerkenswert an Südstern ist vor allem das Tempo. Alles hier ist atemlos, das Leben der beiden kennt keine Pausen, und so hastet auch der Text von Satz zu Satz. Das funktioniert wunderbar und transportiert dabei auch das Lebensgefühl eines Viertels, in dem immer irgendwo was los ist. Überhaupt ist die Stadt hier der heimliche Star, der Text ist überaus genau bei seinen Ortsbeschreibungen, jede Straße wird namentlich genannt, sodass immer klar ist, wo die beiden sich gerade befinden, und vor dem inneren Auge ein genaues Bild der Geschichte entsteht.

Südstern von Tim Staffel ist ein gelungener Berlinroman, der durch sein Tempo und die enge Bindung an die Stadt besticht und damit eine Liebesgeschichte erzählt, die so vielleicht einfach nur hier passieren könnte.

Tim Staffel: Südstern | Kanon | 288 Seiten | 25 Euro | Erschienen im September 2023

Kategorie Blog, Rezensionen
Autor

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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