Was müssen Fortysomething-Frauen in ihrem Leben erreicht haben? Alles, was sie wollen – oder gar nichts, wenn sie keine Lust darauf haben. Das Gras auf unserer Seite ist der neueste Roman von Stefanie de Velasco und ein Plädoyer für die Unabhängigkeit aller Frauen.
Kessie, Grit und Charly – das sind drei Berliner Freundinnen in ihren Vierzigern, die sich schon ewig kennen, unterschiedlicher nicht sein könnten und immer füreinander da sind. Das Thema Kinderwunsch war für die drei nie ein wirkliches, auch wenn sie den gesellschaftlichen Druck in früheren Zeiten deutlich spüren konnten. Wie gut, dass mittlerweile niemand mehr fragt. Umso herausfordernder der Moment, als Charly, die nach Jahren endlich mal wieder ein tolles Rollenangebot hat, einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand hält – Menopause, where are you? Und noch viel drängender die Frage: Behalten oder nicht?
Kessie, ebenfalls Single, aber stets in Begleitung ihres treuen Hundes Pan, ist derweil in der westdeutschen Provinz unterwegs, um den Umzug ihrer Mutter ins Altersheim zu begleiten. Dort trifft sie unverhofft auf ihre Jugendliebe samt dessen Tochter und fragt sich plötzlich, was gewesen wäre, wenn … Und Grit sträubt sich nach all den Jahren immer noch, mit ihrem Freund das heteronormative Konzept Wohnzimmer-Schlafzimmer-Küche-Bad zu leben. Sie will mindestens einen Raum nur für sich und scheint ihn entgegen aller Widerstände im Schrebergarten zu finden.
In all dem Struggle sind die Freundinnen sich immer nah. Sie tauschen sich per sehr authentisch geschriebenem Gruppenchat aus, wenn sie mal nicht zusammen in Berlin sind, und bestärken sich in jeder Lebenslage. In Das Gras auf unserer Seite porträtiert Stefanie de Velasco drei Protagonistinnen, die wir in vielen anderen Büchern – wenn überhaupt – eher als Nebenfiguren antreffen: ältere, kinderlose Frauen, die statt Familie, Eigenheim und Traumjob sich und ihre Freundinnenschaft feiern und gesellschaftlich erwarteten Lebensmodellen die kalten Schultern zeigen. Ich mochte diese drei Freundinnen sehr. Sie sind eigen und sich auch nicht immer einig. Beim Lesen konnte ich mir sehr gut vorstellen, die drei beim nächsten Spaziergang durch Berlin zufällig zu treffen.
Und das vor allem, weil de Velasco so gut erzählen kann. Schon ihren Vorgängerroman Kein Teil der Welt über das Aufwachsen bei den Zeugen Jehovas habe ich wahnsinnig gern gelesen. Ich mag den unverstellten und präzisen Schreibstil der Autorin – da ist kein Wort zu viel oder zu wenig, und trotzdem kommt auch der Witz nicht zu kurz. Das Gras auf unserer Seite ist sowohl eine persönliche und empowernde als auch eine humorvolle Geschichte, die einmal mehr zeigt, unter welchem Druck Frauen in unserer Gesellschaft stehen. Wie gut, dass es Freundinnenschaften wie die zwischen Kessie, Grit und Charly gibt, die uns die Dringlichkeit von gelebter Sisterhood beweisen.
Stefanie de Velasco: Das Gras auf unserer Seite | KiWi | 256 Seiten | 23 Euro | Erschienen im März 2024