Sven Pfizenmaier: Schwätzer

Von Gentrifizierung und Meteoriten: Sven Pfizenmaier erzählt in seinem zweiten Roman Schwätzer vom Rand der Großstadtgesellschaft, lässt die Schicksale der Menschen aber nicht in Tristesse ertrinken.

Pfizenmaier, Schwätzer, Cover

Meikel ist zurück im Leben. Jahrelang hatte die Sucht ihn fest im Griff, torkelte er zugedröhnt durch sein Leben oder war auf der Jagd nach Geld für den nächsten Schuss. Damit ist Schluss, zum Glück. Er hat eine kleine Wohnung, bieder und günstig eingerichtet, ohne viel Gedöns. So wie er auch, schweigsam, in sich gekehrt, meist allein. Bis es an der Tür klingelt, und Eddi plötzlich vor ihm steht.

Eddi war sein Freund, wenn es so etwas für Süchtige wirklich gibt. Sie haben viel erlebt, doch waren sie jemals zusammen nüchtern? Meikel kann sich nicht erinnern, vielleicht weil es noch nie so war, vielleicht aber auch, weil die letzten Jahre in seinem Kopf verschwimmen und kaum noch greifbar sind. Was er aber sicher weiß ist, dass Eddi viel labert, und dabei die Wahrheit meist aufs Härteste verdreht. Als Eddi Meikel fragt, ob dieser ihm beim Meteoritensuchen in Brandenburg helfen möchte, stimmt er aus einem Reflex heraus – und entgegen aller Vernunft – doch zu.

Sven Pfizenmaier hat mit seinem Debüt Draußen feiern die Leute einen Überraschungserfolg hingelegt, der durch einen beherzten Schuss Magie Phantasie und Farbe in die tristen deutschen Realitätsromane gebracht hat. Schwätzer geht nicht ganz so offensiv mit diesem Stilmittel um, was andere Aspekte in den Vordergrund stellt und neuen Ideen Raum gibt. Denn der Roman hat viel zu bieten.

So geht es im Strang von Meikel und Eddi um die Menschen am Rande der Großstadtgesellschaft, die durch Immobilienspekulation und Profitstreben auf dem Mietmarkt aus der Stadt vertrieben werden. Mit einem Meteoriten will sich Eddi mehr Zeit erkaufen, um in seiner kleinen Wohnung bleiben zu können, die auch ihm gerade erst ein neues Leben nach der Sucht ermöglicht hat.

In einem zweiten Strang, der mit dem ersten verwoben ist, geht es um das April, einen fiktiven Club in Berlin-Neukölln, der der Grießmühle nachempfunden ist. Auch dieser wurde weggentrifiziert, der Mietvertrag gekündigt, das Grundstück an Investoren verkauft, die Großes damit vorhaben und damit eine komplett andere Klientel anlocken werden als der alternative Club (der übrigens nicht an der Spree liegt, aber das nur nebenbei).

Beide Stränge sind von einer hintergründigen Magie durchweht, doch die Personen und deren Schicksale stehen im Vordergrund. Ihr Auflehnen gegen eine Welt, die sich übermächtig gegen sie stellt, scheint durch die Gespenster und rätselhaften Gruppierungen nur noch vergeblicher zu werden. Doch gleichzeitig deuten diese auch darauf hin, dass es mehr zu retten gilt vor der Macht der Rendite als nur die Stadt.

Der Roman besticht mit genauen Beobachtungen und einem lockeren, bisweilen witzigen Stil. Gerade für mich, der ich genau im Epizentrum des Romans selbst lebe, ist es eine Wonne, die eigene Umwelt durch die Augen der Figuren nochmal neu zu sehen. Erzählerisch ist der Roman in zwei Hälften geteilt. Die erste schildert der Erzähler sehr zurückgenommen, in der zweiten tritt er dann selbst ins Rampenlicht und spricht ganz aus der ersten Perspektive. Die Konstruktion gibt dem Roman mehr Abwechslung, gleichzeitig entsteht beim Wechsel in den zweiten Teil ein Loch, das durch den sehr vorsichtigen und zurückhaltenden Charakter des Erzählers den Erzählfluss für mich zu lange hemmt. Hier wäre vielleicht ein weniger harter Übergang besser gewesen.

Schwätzer von Sven Pfizenmaier ist ein würdiger Nachfolger zu Draußen feiern die Leute, der den Blick vom Dorf auf die Großstadt Berlin lenkt und eine fantasievolle Geschichte über die Gentrifizierung erzählt. Menschen vom Rand der Gesellschaft rücken in den Mittelpunkt und laufen mit magischer Unterstützung durch einen wilden Plot, der der Tristesse farbenfroh entgegensteht.

Sven Pfizenmaier: Schwätzer | Kein & Aber | 288 Seiten | 22 Euro | Erschienen im August 2024

Kategorie Blog, Indiebooks, Rezensionen

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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