Joshua Groß: Plasmatropfen

Liebe und Depression: In Joshua Groß’ neuem Roman Plasmatropfen geht es um ein Paar und das langsame Ende ihrer Beziehung – wie immer durchspült von einem unglaublichen Gefühl für die Figuren und unsere Gegenwart.

Groß, Plasmatropfen, Cover

Helen und Lenell leben auf Egio in Griechenland. Sie ist eine noch junge, aber schon angesehene Künstlerin, er promoviert in Seismologie. Sie führen schon lange eine glückliche Beziehung, doch driften sie schon seit Jahren ganz langsam auseinander. Wie die Kontinentalplatten, deren Bewegungen Lenell an zahllosen Stellen am Golf von Korinth fast wahnhaft misst.

Helen nutzt gern die Offenheit ihrer Beziehung. Auf ihren zahlreichen Reisen zu Ausstellungen und anderen Events flirtet sie gern mit anderen Männern, lässt es auch zu mehr kommen, aber bleibt dabei Lenell immer verbunden. Womit die Männer nicht unbedingt so gut klarkommen. Doch sie scheint gefestigt, selbst der Diebstahl all ihrer Werke vor der Eröffnung einer neuen Ausstellung in den Niederlanden wirft sie nicht aus der Bahn. Dass sie die Linie von Normalnull neuerdings als rote Ebene in der Landschaft wahrnimmt, versetzt ihr dagegen einen deutlichen Schrecken. Ebenso wie Lenells Verfassung.

Denn Lenell geht es immer schlechter. Schon seit Jahren kämpft er mit Depressionen, bekommt sie durch Arbeit und feste Routinen immer wieder in den Griff, nur um dann wieder in sein Inneres zu versinken. Sein Gemüt hellt sich erst auf, als er Spechtmensch beim Basketball erblickt und später kennenlernt. Er verliebt sich in den einsam auf einer Insel lebenden Mann mit Spechtkopf, was ihm Auftrieb gibt und wodurch er sich endlich traut, Helen um den Einsatz ihrer telekinetischen Fähigkeiten an ihm zu bitten.

Plasmatropfen von Joshua Groß führt sein Werk konsequent weiter. Nach dem mehr auf die Figuren und deren Beziehungen fixierten Prana Extrem lässt er die deutlich ausgeprägtere Trippyness von Flexen in Miami hier wieder stärker mit einfließen. So entsteht ein Roman, der die Grenzen der Realität erweitert, ohne die Figuren und deren Beziehung zueinander aus den Augen zu verlieren. Joshua Groß schafft es damit, den mal deprimierenden, mal spannenden, mal langweiligen Alltag der Figuren zu erzählen und mühelos in bunte Farben zu tauchen, wie auch die Bilder von Helen die Realität in ihren unsichtbaren Facetten einzufangen versuchen.

Überhaupt erscheint alles in Plasmatropfen verbunden. Es beginnt bei den Namen Helen und Lenell, deren Klang wie Kippfiguren ineinander schwingt und ihre innige Verbindung im Roman kenntlich macht. Spechtmensch erscheint wie eine Fabelfigur aus den Metamorophosen Ovids, der natürlich in Griechenland seinen Ort hat. Gleichzeitig ist er ein nerdiger Dude, der sein Leben darauf verwendet, eine ausgestorbene Kiefernart neu heranzuzüchten. So ist der Roman durchzogen von einem engen Netz verschiedenster Beziehungen, die den dargestellten Alltag schillern lassen.

All dies wird beschrieben in Groß’ einzigartiger Sprache, die mich immer wieder vom ersten Satz an fesselt und in den Roman hineinzieht. Die Mischung aus meist eher kurzen, an sich oft spröden Sätzen mit ungewöhnlichen, subkulturellen und dialektalen Ausdrücken und einem scharfen Blick für die Gefühlswelt der Figuren erzeugt geradezu einen Sog. Ich kenne kaum andere Schriftsteller*innen, die ich wie Groß an wenigen Sätzen immer blind erkennen würde.

Plasmatropfen von Joshua Groß färbt den Alltag in trippige Farben und zieht uns unweigerlich immer weiter in seine ganz eigene Realität. Hier ist alles eng verwoben und gleichzeitig getragen von einer Lockerheit der Sprache, die ihresgleichen sucht. Ein absolutes Highlight für mich und eine große Enttäuschung, dass der Roman es nicht wie zuletzt Prana Extrem zumindest auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat.

Joshua Groß: Plasmatropfen | Matthes & Seitz Berlin | 263 Seiten | 24 Euro | Erschienen im August 2024

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Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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