Darkness in der Heide: Von Norden rollt ein Donner von Markus Thielemann gräbt sich tief in die vermeintliche Idylle der deutschen Heidelandschaft und enthüllt deren fortlebende Traumata aus einer gar nicht so fernen Vergangenheit. Zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises.
Jannes Kohlmeyer ist 19 Jahre alt und arbeitet als Schäfer in der Heide. Zu allen Jahreszeiten und bei allen Wetterlagen führt er die Herde der Schnucken hinaus in die Kulturlandschaft deutsche Heide. Auf dem Hof der Familie arbeiten drei Generationen zusammen, um den Lebensunterhalt für alle zu erwirtschaften. Ein gutes Stück davon ist mittlerweile auch der Tourismus, sodass Jannes, sein Vater oder Großvater regelmäßig auch Touren auf dem Hof anbieten und sich von Wandernden beobachten lassen, wenn sie die Hunde losschicken, um die Herde zusammenzutreiben.
Doch die Idylle, in der die Kohlmeyers seit Generationen leben, ist bedroht. Der Tourismus gefällt ihnen zwar nicht wirklich, aber sie nehmen ihn zähneknirschend an, da das Überleben nur von den Schnucken mittlerweile zu hart geworden ist. Aber da ist noch etwas: der Wolf. Von Naturschützer*innen gefeiert, von Viehwirten verteufelt, ist das sagenumwobene Raubtier zurück in Deutschland. Doch ist wirklich auch ein Rudel in der Heide? Vielfältige Vorfälle erzählt man sich auf den Treffen in der Gegend, doch Sichtungen bleiben aus.
Und doch ist da noch etwas. Etwas Älteres, Verschüttetes. Denn eines Nachts, bei einer der seltenen Partys von Jannes’ Freunden, die fast alle weggezogen sind, sieht er etwas. Im Vollrausch, ja, aber da ist draußen plötzlich eine Frau, die ihn ansieht. Jannes macht sich nicht nur sprichwörtlich in die Hosen vor Angst. Die Erscheinungen der Geisterfrau bringen Jannes dazu, in der Vergangenheit zu graben. Wieso erscheint sie ihm, was hat sie mit seiner Familie zu tun, und wie ist das alles mit dem Wolf verknüpft?
Von Norden rollt ein Donner von Markus Thielemann ist ein Anti-Heimat-Roman, der die deutsche Heide dekonstruiert. Die Handlung führt zurück in die Zeit des Nationalsozialismus, als ebendiese deutsche Heide der ganze Stolz der Nation war. Gleichzeitig war sie jedoch auch einer der Orte des Holocaust, da ein Außenlager von Bergen-Belsen gleich am Hof der Familie lag. Spätestens, als völkische Siedler in Jannes’ Nachbarschaft ziehen, schließt sich hier ein Kreis.
Das Hauptmotiv des Wolfs verleiht dem Roman dann noch einen allegorischen Charakter, der stark hervortritt, aber den Lesenden nicht auf die Nase gebunden wird. So steht der Wolf für das Andere, das Fremde, das, was nicht zur Heide, also zur Heimat gehört und entfernt werden muss – wenn nötig mit Gewalt. Die Parallelen zum Aufkommen von Rechtspopulismus und -extremismus sowie allgemein die latente Fremdenfeindlichkeit im politischen Diskurs liegen auf der Hand. Der überaus ruhige Stil des Romans, der die Landschaft in dunkle Töne taucht, passt perfekt zu den Motiven und Themen.
Von Norden rollt ein Donner von Markus Thielemann ist düster, beklemmend und mit seinen gelegentlichen Gruseleinlagen auch nicht ohne Überraschungen. Er zeigt, wie traditionelles Erzählen aktuelle Stoffe transportieren und weiterentwickeln kann und macht dies überaus kurzweilig. Sehr zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises.
Markus Thielemann: Von Norden rollt ein Donner | C. H. Beck | 287 Seiten | 23 Euro | Erschienen im Juli 2023