Martina Hefter hat mit ihrem Roman Hey guten Morgen, wie geht es dir? dieses Jahr groß abgeräumt, den Deutschen Buchpreis und einige andere Preise eingefahren. Und das absolut zu Recht!
Juno und Jupiter leben zusammen in Leipzig. Juno verdient ihr Geld in Performances, meist verbunden mit Tanz. Sie ist in ihren Fünfzigern, doch das sieht man ihr nicht unbedingt an, sie ist immer noch fit und hat seit Kurzem angefangen, sich Tattoos stechen zu lassen, was sie noch jünger wirken lässt. Jupiter ist Schriftsteller und als solcher auch recht erfolgreich, er gewinnt Preise und ist allgemein anerkannt. Doch sein Leben ist neben dem Schreiben gezeichnet von einer schweren Krankheit: Multiple Sklerose. Immer wieder kommen neue Schübe, verschlechtert sich sein Zustand, und Fähigkeiten fallen weg. Außerhalb der Wohnung ist er auf einen Rollstuhl angewiesen.
Jupiters Einschränkungen prägen seinen und damit auch Junos Alltag. Auch wenn er alle Rückschläge ruhig und gefasst wegsteckt, lastet der Zustand schwer auf beiden. Sie haben sich in ihren Tätigkeiten immer weiter voneinander entfernt, die Intimität zwischen den beiden ist trotz ihrer immer noch vorhandenen Liebe und Fürsorge füreinander schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. So sucht Juno Bestätigung auf Instagram, wo ihr immer wieder Männer schreiben, ihr Komplimente machen und noch mehr.
Sie ist sich sehr bewusst, dass es sich dabei praktisch durchgängig um Love-Scammer handelt, die es auf ihr nicht vorhandenes Geld abgesehen haben. Trotzdem kann sie nicht davon lassen, den Scammern spielerisch zu schreiben, sich andere Leben zu imaginieren und die Reaktionen zu lesen. Das ist alles harmlos, bis sie mit Benu, einem Scammer aus Nigeria, plötzlich auf eine andere, beunruhigend reale Ebene abgleitet.
Hey guten Morgen, wie geht es dir? von Martina Hefter ist ein auf der Oberfläche erfreulich leichter Roman, der gleichzeitig aber bei seinen Themen sehr gefühlvoll in die Tiefe geht. Die personale Erzählweise nimmt Juno durchgängig in den Mittelpunkt, ihre Gedanken und Handlungen sind der Motor des Romans. Sie ist es damit auch, die die dominierenden Themen transportiert. Eine ganz eigene, erfrischend spröde und unangepasste Sprache macht Juno zu einer Figur, die man so schnell nicht vergessen wird.
Da ist zunächst das Altern. Juno ist als ältere Frau immer noch fit und gesund, was sie auch sehr zu schätzen weiß. Gleichzeitig ist der Unterschied zu ihrer Jugend und dem jüngeren Erwachsenenalter für sie klar zu spüren. Zum einen an den Männern, die sie anschreiben und wie sie dies tun. Zum anderen an einer Gesellschaft, in der jung und attraktiv zu sein der Normalzustand ist und Altern eine immer wieder zu beurteilende Abweichung. Genauso wie Krankheit und Behinderungen, die sie mit Jupiter schmerzhaft erlebt. Denn unsere Welt ist für gesunde und uneingeschränkte Menschen gemacht worden, wer davon abweicht, bekommt dies auf unangenehmste Weise zu spüren. Beides erzeugt in Juno wie in Jupiter ein Gefühl der Einsamkeit inmitten all der »normalen« Menschen.
Und dann ist da noch ein drittes Thema, das über die Love-Scammer in den Roman tritt. In Junos Gesprächen mit Benu wird eine Schieflage zwischen dem Globalem Norden und Süden immer deutlicher. Denn auch wenn Juno und Jupiter als Künstler*innen alles andere als wohlhabend sind und sie viele Entbehrungen in ihrem Leben hinnehmen, ist das nichts gegen das Leben Benus in einer mittelgroßen Stadt in Nigeria. Das Scammen ist ein verzweifelter und auch selbsterniedrigender Versuch, an dem Reichtum des Nordens teilzuhaben, da alle anderen Wege in unserer postkolonial geprägten Welt ausgeschöpft scheinen.
Hey guten Morgen, wie geht es dir? ist ein Roman, der auf beeindruckende Weise einen oberflächlich leichten Plot zu einer tiefgehenden und sehr berührenden Auseinandersetzung mit aktuellen Themen verbindet. Die starke und höchst eigenständige Sprache macht den Roman zu einem Leseereignis, das man nicht so schnell vergisst. Ein Roman, der Aufmerksamkeit und Preise absolut verdient hat.
Martina Hefter: Hey guten Morgen, wie geht es dir? | Klett-Cotta | 224 Seiten | 22 Euro | Erschienen im Juli 2024