Joan Didion: Das Jahr magischen Denkens

Nachdem ich Ende letzten Jahres die Doku »The Center Will Not Hold« über die Journalistin, Essayistin und Autorin Joan Didion gesehen hatte, stand für mich fest, dass ich so bald wie möglich eines ihrer Bücher lesen muss. Das Jahr magischen Denkens ist es geworden, mein erstes Didion-Buch, und mir fehlen nach der Lektüre ein wenig die Worte.

Joan Didion: Das Jahr magischen Denkens

 

Man setzt sich zum Abendessen, und das Leben, das man kennt, hört auf.

Dieser Satz zieht sich wie ein Mantra durch Didions erzählendes Sachbuch Das Jahr magischen Denkens. Sie verhandelt darin den plötzlichen Tod ihres Mannes John Gregory Dunne und die schwere Krankheit ihrer Adoptivtochter Quintana. Das besagte Abendessen findet kurz nach Weihnachten statt. Es ist ein ganz normaler Abend. Doch plötzlich bricht John während des Abendessens zusammen, wird ins Krankenhaus eingeliefert und stirbt dort wenige Stunden später.

Didion trifft dieser Schicksalsschlag ganz unerwartet. Wie in Trance begleitet sie ihren Mann ins Krankenhaus, füllt nötige Papiere aus und kann lange nicht glauben, dass ihr Lebensgefährte wirklich tot sein soll. Immer wieder spielt sie im Kopf die Szene beim Abendessen durch. Was war passiert? Hätte sie es kommen sehen können? Hätte sie ihn sogar retten können? Zunächst will Didion ihren John nicht gehen lassen. Sie lässt seine Kleidung unberührt und wartet auf ihn, auf seine Rückkehr.

Ich musste allein sein, damit er zurückkommen konnte. So begann mein Jahr magischen Denkens.

Doch John kommt nicht zurück. Nach und nach verarbeitet die erfolgreiche Journalistin das Fehlen des wichtigsten Menschens in ihrem Leben auf ihre ganz eigene Weise. Sie setzt sich mit theoretischen Schriften zum Tod auseinander, versucht den biologischen Hergang während des Sterbens zu verstehen und erinnert sich immer wieder in liebevoll gezeichneten Rückblicken an die Beziehung mit John.

Ich war nicht immer überzeugt, dass er recht hatte, auch er war nicht immer überzeugt, dass ich recht hatte, aber wir waren füreinander der Mensch, dem man vertraute.

Das Jahr magischen Denkens ist somit nicht nur ein Buch über Trauerbewältigung und den Umgang mit dem Tod. Viel mehr und in allererster Linie war es für mich ein Buch über eine große Liebe zwischen zwei Menschen, die nie getrennt sein wollten. Den Schmerz, das Fehlen des Partners beschreibt Didion auf eindrückliche Weise. Einerseits sind die kurzen Kapitel sehr essayistisch und wahren die Distanz zu diesen sensiblen Themen. Hier scheint die brillante Journalistin Joan Didion hindurch, die manchmal wie eine Reporterin auf ihr eigenes Leben schaut. Und dann kommen wieder Passagen, die mit lakonischer Sprache und einfachsten Gedankengängen zeigen, wie sehr Didion ihren Mann geliebt hat und wie sehr er ihr fehlt. Diese Stellen waren für mich oft nur schwer zu ertragen.

Am Ende des Buchs hatte ich jedoch das Gefühl, dass Joan Didion ihren Mann endlich loslassen kann und sich halbwegs ohne ihn wieder in der Welt zurechtfindet. Das Jahr magischen Denkens ist einerseits so persönlich und andererseits so ungemein klug und analytisch, dass es mir schlichtweg die Sprache verschlagen hat. Nach Zuschlagen des Buches und mit dem Gedanken daran, dass auch Didions Tochter nur 39 Jahre alt geworden ist, blieb für mich jedoch eine Frage offen: Wie viel Schmerz kann ein Mensch ertragen?

Joan Didion: Das Jahr magischen DenkensJoan Didion

Das Jahr magischen Denkens

Aus dem Amerikanischen von Antje Rávic Strubel

Claassen (HC) | List (TB)

288 Seiten | 9,99 Euro (TB)

erstmals 2006 auf Deutsch erschienen

Kategorie Blog, Rezensionen, Sachbuch
Autor

Aufgewachsen im schönen Brandenburg lernte ich schon früh die ländliche Einöde lieben und verteufeln zugleich. Heute kehre ich immer wieder gern heim, wohne allerdings lieber in urbanen Räumen. Lesen geht ja zum Glück überall und bietet Ausflüge in diverse Welten. Hier schreibe ich über meine Lektüren.

7 Kommentare

  1. Hella Kucharzeck

    Es geht um das Buch „Das Jahr magischen Denkens“.

    Frage: Ist Didion wirklich ein Jahr lang gereist, um den Tot ihres Mannes zu begreifen, oder ist sie nur in Gedanken gereist. Meine Freundin und ich sind da unterschiedlicher Meinung.

    • Hallo Hella! Vielen Dank für deine Nachricht. Also ich würde sagen, sie ist in Gedanken gereist, hat zurückgeblickt und reflektiert. Aber vielleicht habe ich auch etwas übersehen? Liebe Grüße, Juliane

    • Da hat mich bisher die Einordnung »Geländeroman« abgeschreckt. Aber vielleicht sollte ich darüber hinwegsehen? Oder inwiefern ist es ein »Geländeroman«?

      • Sie spiegelt in der Natur bzw. auf ihren Wegen durchs „Gelände“ ihre innere Landschaft der Trauer. Sie ist eine Meisterin der Beschreibung, aber niemals so, dass es monoton wird. Ist das hilfreich?

        • Ja, auf jeden Fall, vielen Dank! Am Wochenende hat sie ja auch den Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen … ich werde unbedingt bald mal reinlesen.

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