Drei Anläufe habe ich gebraucht, um Wie wir lieben – Vom Ende der Monogamie (Blumenbar) von Friedemann Karig durchzulesen. Im Nachhinein weiß ich gar nicht mehr so genau, warum eigentlich.
Vielleicht war es der pathetische Prolog, vielleicht die Flut an Fakten und Thesen, vielleicht war ich anfangs auch einfach bis oben hin voll mit dem Thema. In Berlin habe ich schon öfter mit verschiedensten Personen über das »Ende der Monogamie« bzw. alternative Beziehungsmodelle diskutiert. Ich dachte, ich hätte alle Aspekte schon tausendmal durchgekaut.
Dass dem nicht so war, stellte ich fest, als ich endlich über Seite 60 des Buches hinausgekommen bin. Wie wir lieben ist sehr abwechslungsreich aufgebaut. Auf theoretische Abschnitte zu Themen wie Sex, Eifersucht und Treue folgen stets persönliche Erfahrungen von Paaren, die unkonventionelle Beziehungsmodelle ausprobiert haben. Auch sprachlich grenzen sich diese Blöcke ganz wunderbar voneinander ab. Die Erzählungen der verschiedenen Paare transportieren eine jeweils ganz eigene Atmosphäre und schlagen einen literarischen Ton an. In den Theorieblöcken arbeitet Karig dagegen mit Querverweisen zu bspw. Eva Illouz, Margarete Stokowski oder Niklas Luhmann. Die Informationsflut verpackt der Autor in einen lockeren Ton, sodass auch diese Abschnitte Spaß machen. Dennoch war ich auch immer froh, wenn dann endlich wieder eine der persönlichen Geschichten kam.
Aber worum geht es eigentlich genau bei dem propagierten »Ende der Monogamie« und wie lieben wir denn nun? Friedemann Karig gibt darauf keine eindeutige Antwort, denn die Liebe und die Beziehungen zwischen Menschen sind immer im Wandel. Sehr fundiert erläutert der Autor die historische Entwicklung von Sex, Liebe und den dazugehörigen Mechanismen. Er erklärt, warum ein Großteil der Menschen in westlichen Ländern heute immer noch glaubt, die Monogamie sei das Nonplusultra unter den Beziehungsmodellen. Auch stellt er treffend heraus, dass wir zwar schon seit geraumer Zeit sexuell befreit sind, aber verglichen zur Menschheitsgeschichte das noch gar nicht so lang ist. Wir müssen also immer noch lernen, mit dieser Freiheit überhaupt umzugehen.
Bei seinen Betrachtungen verfolgt Karig einen eher biologistischen Ansatz und bezieht sich häufig auf Faktoren der Evolution. Aber auch soziologische und historische Aspekte flechtet er in seine Thesen ein. So entsteht ein sehr guter Überblick zum derzeitigen Ist-Zustand westlicher Gesellschaft in Sachen Liebe, Sex und Beziehung.
Liebe ist […] in uns, wo sie entsteht, zuerst ein biochemischer Prozess. Und als solchen kann man sie erst einmal begreifen.
Dennoch gab es auch ein paar Punkte, die mich beim Lesen ein wenig gestört haben. Wenn man von den vielen Druckfehlern, die ab der zweiten Auflage hoffentlich getilgt wurden, mal absieht, haben mich manchmal die teils überdrehten Vergleiche gestört. Vielleicht habe ich einfach keinen Humor, aber bei Stellen wie folgender musste ich mit den Augen rollen:
Heute ist die Partnerwahl – im Vergleich zur Vormoderne, in der uns ein Partner wie ein harter Kanten Brot vorgesetzt wurde – ein Stochern mit einem Baguette im Universum auf der Suche nach einem Stück Butter.
Ein weiterer Kritikpunkt ist für mich, dass Karig fast ausschließlich über heterosexuelle Beziehungen schreibt. In Nebensätzen wird manchmal erwähnt, dass es bei homosexuellen Paaren ähnlich ist. Dabei sind Themen wie offene Beziehungen oder Polyamorie gerade in der Homosexuellen-Community sehr zentral.
Nichtsdestotrotz ist Wie wir lieben ein faktenreiches und zugleich unterhaltsames Sachbuch, das neue Denkansätze aufwirft. Durch die persönlichen Erfahrungsberichte wird es zudem zur besten Einstiegslektüre, die es für dieses Thema wohl derzeit gibt.
Weitere Rezensionen findet ihr u. a. auf Die Liebe zu den Büchern, Lohnt das Lesen und Schreibtrieb.
Friedemann Karig
Wie wir lieben – Vom Ende der Monogamie*
Blumenbar
304 Seiten | 20,- Euro
Erschienen am 17.02.2017
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Vielen Dank für die Verlinkung, liebe Juliane. 🙂
Ich kann gut nachvollziehen, dass man das Buch immer mal wieder weglegt.
Ich kann mich auch erinnern, dass ich die erzählten Erfahrungen interessanter fand, als die Theorie-Teile, die sich doch mitunter wie eine Uni-Hausarbeit gelesen haben.
Zusammenfassende Literaturrecherche. ^^°
Sie sind aber, denke ich, so ausführlich da, um alle Leser abzuholen, auch diejenigen, die noch nie Näher über die Möglichkeit von nicht-monogamen Beziehungen nachgedacht haben, und deshalb berechtigt und gut. 🙂
Liebe Andrea,
nichts zu danken. 🙂 Ganz so krass wie eine Hausarbeit für die Uni fand ich’s dann doch nicht, aber schon sehr faktenlastig, sodass ich manche Absätze öfter lesen musste. Aber wie du schon sagst, das ist auch völlig okay, vor allem für Einsteiger in das Thema.
Ganz liebe Grüße
Juliane