Der Themenkomplex Flucht und Migration ist momentan medial allgegenwärtig. Die Europapolitik quält sich zu Minimalkompromissen, die deutsche Politik nicht weniger, und im Hintergrund jubeln die Populisten, denen das alles in die Karten spielt. Mich haben mediale Allgegenwart und realpolitische Desillusionierung müde und stumpf dem Thema gegenüber gemacht. Zeit, das zu ändern.
Menschen verlassen ihre Herkunftsländer niemals leichtfertig oder ohne gute, will sagen, lebensbedrohliche Gründe. Zumindest wenn wir von Menschen aus Wohlstandsgesellschaften absehen, natürlich. Seien die Gründe nun menschliche Gewalt, Bedrohungen des eigenen Lebens durch Naturkatastrophen oder pure wirtschaftliche Hoffnungslosigkeit: Es gehört viel dazu, zu gehen. Vor allem dann, wenn die Flucht voraussichtlich Jahre voller Unsicherheit, Gewalt und Erniedrigung bedeuten wird.
All das gerät allerdings vollkommen aus dem Blick, wenn man die aktuellen Schlagzeilen aus der deutschen, europäischen und internationalen Politik verfolgt. Opfer sind hier meist eher die Staaten, die sich mit den Flüchtenden konfrontiert und überfordert sehen und sich gegenseitig Schuld und Verantwortung zuschieben, um die Umfragewerte der eigenen Partei nicht zu gefährden. Realpolitik kennt humanitäre Sichtweisen nur da, wo sie Stimmen sichern. Das ist natürlich sehr hart und überspitzt ausgedrückt und viele Statements verschiedener Politiker stehen dagegen. Wenn es hart auf hart kommt, bewahrheitet es sich aber meist doch.
Mich selbst hat dieses mediale Karussell fast bis zum Verlust des Interesses an dem Thema desillusioniert und abgestumpft. Als ich selbst bei mir immer mal wieder Zustimmung zu pragmatisch-realpolitischen Statements einiger Politiker bemerkte, hat mich das nur langsam zum Nachdenken gebracht. Doch irgendwann musste ich erkennen, dass mich der realpolitische Diskurs gekriegt hatte und mir die humanitäre Sichtweise immer mehr abhanden gekommen war. Ich bin stumpf geworden, und das gilt es nun zu ändern.
Ich möchte das hier auf dem Blog in zwei Beiträgen vollziehen. Im ersten Teil geht es um eine Analyse der derzeitigen Situation und deren historische Hintergründe. Natürlich werde ich hier keine detaillierte Analyse schreiben, das wäre für das Blogformat nicht nur unangemessen, sondern in Anbetracht der Komplexität des Themas auch anmaßend. Ich möchte hier Bücher vorstellen, die ich mir zur eigenen Re-Sensibilisierung mit dem Thema bestellt und gelesen habe. Zur Analyse habe ich mich dabei auf eine Vorauswahl der Bundeszentrale für Politische Bildung verlassen und mir dort einige der neuesten Veröffentlichungen zu Flucht und Migration bestellt.
Auch wenn die Beteiligung von AfD-Mitgliedern in den Kuratorien der Landeszentralen für politische Bildung seit 2017 das Bild der bpb insgesamt ein wenig trüben könnte – momentan scheint eine Beteiligung von rechtsaußen noch kaum spürbar, ganz im Gegenteil: Die bpb veröffentlichte seit dem zahlreiche kritische Broschüren und Bücher über die Partei und den Rechtsruck in der deutschen und europäischen Parteilandschaft. Das Angebot ist also nach wie vor ziemlich großartig. Deshalb möchte ich hier ganz nebenbei auch mal ein wenig (unbezahlte) Werbung für die auf Buchblogs komplett unterrepräsentierte bpb machen. Schaut euch das Angebot mal an!
Ich habe mir drei Bücher ausgesucht, die ich im nächsten Beitrag vorstellen möchte: Flucht nach Europa. Ursachen, Konflikte, Folgen von Stefan Luft (Originalausgabe bei C.H. Beck 2016), Globale Migration. Geschichte und Gegenwart von Jochen Oltmer (Originalausgabe ebenfalls bei C.H. Beck 2012/3. Aufl. 2016) und Gestrandet. Warum unsere Flüchtlingspolitik allen schadet – und was jetzt zu tun ist von Alexander Betts und Paul Collier (Originalausgabe bei Siedler 2017). Die ersten beiden sind Analysen der gegenwärtigen Situation und der historischen Entwicklungen, die hierher geführt haben. Das dritte Buch leitet schon über zu den Essays, die im zweiten Teil drankommen, konzentriert sich aber noch größtenteils auf die europäische Flüchtlingspolitik.
Teil 2 wendet sich dann Essays zu, die deutlich mehr interpretieren, die Analysen in einen breiteren Kontext einbinden. Ich habe mir zunächst zwei Titel ausgesucht, die aus leicht unterschiedlichen Lagern kommen, aber trotzdem beide deutlich dem linken Spektrum angehören: Der neue Klassenkampf. Die wahren Gründe für Flucht und Terror von Slavoj Žižek (Ullstein 2015) und Die Angst vor den anderen. Ein Essay über Migration und Panikmache von Zygmunt Bauman (Suhrkamp 2016). Einmal ein provokanter sozialistischer Philosoph, einmal ein brillianter Soziologe und Anthropologe.
Da ich mit dem Lesen gerade erst begonnen habe, ist hier jetzt auch Schluss mit dem Warm-Up. Ich bin sehr gespannt auf die Bücher und freue mich, mich mal wieder intensiver mit einem so wichtigen Thema auseinanderzusetzen.
Sehr gute Sache – ich bin gespannt auf Deine Beiträge, da lese ich sehr interessiert mit.
Super, das freut mich!