In seinem bemerkenswerten Debütroman Mit der der Faust in die Welt schlagen (Ullstein) erzählt Lukas Rietzschel eine Geschichte aus der Ostdeutschen Provinz, der Lausitz. Von da, wo es weh tut. Auch und gerade nach den Nazi-Aufmärschen von Chemnitz ein Blick, den auch die Literatur noch wagen muss.
Die Brüder Tobias und Philipp durchleben eine recht normale Kindheit und Jugend in einem Dorf in der Lausitz, nahe der polnischen Grenze, am schönen Spreewald. Aber auch ziemlich weit weg von irgendwelchen ernst zu nehmenden Großstädten, anderen Angeboten als feuchtfröhlichen Dorffesten und Trinkgelagen in Datschen. Und auch ziemlich weit weg von den besten Zeiten, denn der größte Arbeitgeber, das Schamottewerk, ist schon lange dicht.
Tobias und Philipp haben es jedoch ganz gut erwischt, die Eltern bauen ein eigenes Haus, endlich raus aus der Platte. Das Glück ist jedoch nur von kurzer Dauer, denn schon bald nach dem Einzug ins Eigenheim trennen sich die Eltern. Der Kontakt zum Vater bricht ab, der volljährige Philipp zieht in eine eigene Wohnung, Tobias zu seiner Mutter, zurück in die Platte. Nicht mehr ganz so glücklich wie zuvor, aber auch zunächst nichts Besonderes.
Wären da nicht die Freunde, überhaupt das dörfische Umfeld. Denn auf der Suche nach Anerkennung orientiert sich zunächst Philipp, später dann auch Tobias vor allem an den Alphamännchen des Dorfs, an den starken, großen, lauten Männern. Aus der Entfernung würde man sie zwar wohl eher als Halbstarke mit Flaum auf der Oberlippe bezeichnen. Und Glatzen. Aber die Außensicht fehlt den beiden, sie wollen Männer sein, sich beweisen und anerkannt werden. Über Politik wird eh nicht viel gesprochen, und wenn, dann geht es eher darum, wer damals, vor der Wende, für die Stasi gespitzelt hat. Oder wer für die nicht zu übersehende Armut verantwortlich ist.
Uwe saß neben ihm im Wagen. Seine Tasche im Kofferraum verstaut. Er zuckte bei jedem Schlagloch, das die Flaschen klimpern ließ, und bei jeder regelmäßig wiederkehrenden Rille in der Straße aus Betonplatten. Er schloss die Augen und kniff sie trotzdem immer wieder zusammen. Hinter Kabeltrommeln ließen sich keine Flaschen verstecken. Hinter den großen vielleicht, aber die sollte er nicht anrühren. Dann war er mit dem Fuß dagegengestoßen. Wie traurig das Bier an der Isolierung der Kabel leckte.
So rutschen die beiden immer weiter in die rechte Szene. Sie entfernen sich von ihren Kinder- und Jugendfreunden, die nicht mitmachen, wie etwa dem später als »Schwuchtel« bezeichneten Christoph. Der Fragen stellte, anstatt einfach mitzugröhlen, und keine Lust auf Kampftrinken an Silvester und die geheimen Aktionen der Älteren hat. Immer wieder lauern sie Andersdenkenden oder denen, die sich für etwas Besseres halten, auf. Traktieren sie, bewerfen etwa das Haus einer türkischstämmigen Familie mit Schweinefleisch. Oder täuschen einen Angriff von Geflüchteten auf sie vor, um sich postwendend an diesen rächen zu können und als die Guten, die Retter des Vaterlands, dazustehen.
Lukas Rietzschel geht in Mit der Faust in die Welt schlagen dahin, wo viele der Hitlergruß-zeigenden Schläger von Chemnitz und Sachsen vermutlich herkommen. In die graue, vielfach braune Provinz. Er schildert eindringlich die Tristesse des Ostlausitzer Dorfs, in dem die Brüder aufwachsen. Armut und Verwahrlosung zeichnen ein Bild großer Hoffnungslosigkeit, die mit der Zeit immer beklemmender wird. Zwar gibt es Lichtblicke, wie etwa Christoph, von dem man erfährt, dass er zum Studieren weggegangen ist, oder Rico, der zu seiner Mutter nach Stuttgart zieht und neu beginnen kann. Auch Philipp findet einen Job und schafft es, sich von seinem rechten Freundeskreis zu entfernen.
Doch für diejenigen, die wie Tobias schon zu tief drinstecken, sind diese Perspektiven uninteressant. Zu fest haben sie sich in ihrer Welt eingefunden, in der sie zum durch Fremde und Bonzen bedrohten Volk gehören und die Aufgabe haben, es zu retten. Denn sonst sieht es einfach niemand. Nicht nur einmal musste ich bei Passagen, die Tobias Innensicht darstellen, an »Nichts ist, wie es scheint« denken. Es sind die gleichen Mechanismen wie bei Verschwörungstheorien, die die Neonazis im Roman immer tiefer in ihrer rassistischen Welt versinken lassen.
Lukas Rietzschel stellt dieses langsame Abrutschen in den Mittelpunkt des Romans. Wie Tobias und die anderen Jugendlichen sich aus dem Wunsch nach Anerkennung, Männlichkeit, Erwachsensein und einer heilen Welt (was immer sie auch dafür halten) immer weiter radikalisieren. So schmerz- bis ekelhaft das zu lesen ist, so blickt der Roman doch auch immer wieder auf die Menschen hinter den Neonazis. Dort stehen nach wie vor Halbstarke, die ihren Wunsch nach Glück jedoch so weit mit Hass zugeschüttet haben, dass sie ihn selbst kaum noch erkennen.
In diesem biographischen Ansatz liegt natürlich auch immer eine Erklärung. Woher kommen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie, Hass auf andere? Hier lernen wir zerrüttete Familienverhältnisse, Kindesmissbrauch, Armut, Alltagsrassismus, das Fehlen von Alternativen, Langeweile und blanke Hoffnungslosigkeit als Gründe kennen. Die Gruppendynamiken zwischen Überzeugten, Mitläufern, Jüngeren und Älteren tun ihr Übriges. Zum Glück verliert der Roman schnell die anfängliche Melodramatik, mit der die Kindheit der beiden Jungen dargestellt wird und sich am deutlichsten in pathetischen Sätzen am Ende der Kapitel manifestiert:
Auf der Terrasse spülte der Regen das Moos aus den Fugen. Miriams Mutter schaute zum Fenster raus und seufzte. »Du bist halt nirgends mehr sicher«, sagte sie. Tobi, der nichts sagte, aber jedes Wort verfolgte.
Lukas Rietzschel legt mit Mit der Faust in die Welt schlagen ein Debüt vor, das stärker und fesselnder wird, je weiter man liest. Er legt den Finger in die Wunde des deutschen Rechtsrucks, genau wie Manja Präkels es in Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß getan hat. Nur aus der anderen Richtung, sodass der Roman eine konsequente Ergänzung darstellt. Der Roman ist ein Plädoyer für die stärkere Zuwendung zur Provinz, für Initiativen in Jugend- und Sozialarbeit, die Alternativen zum rechten Mob schaffen können.
Mit der Faust in die Welt schlagen *
Ullstein
320 Euro | 20 Euro
Erschienen am 7.9.2018
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Allenthalben wurde das Buch ja als „Roman der Stunde“ und Erklärung für die Zustände im Osten, respektive Chemnitz herangezogen. Für mich scheint es so, als wollen viele RezensentInnen auf Biegen und Brechen jetzt in dem jungen Autoren einen Erklärbären ostdeutscher Befindlichkeiten sehen. Doch genau das macht das Buch meines Empfindens nach nicht besonders gut – hier empfand ich in puncto Präsenz und Analyse Peter Richters „89/90“ deutlich stärker.
Als Adoleszenzgeschichte zweier Brüder in der ostdeutschen Einöde hingegen finde ich das Buch stark – wobei das Abgleiten in das rechte fremdenfeindliche Milieu einfach eine Begleiterscheinung ist, die nicht den Kern von Rietzschels Buch ausmacht – auch wenn das andere Kommentatoren anders sehen.
Etwas gewollt karg finde ich ja Rietzschels parataktischen Stil. Wie gings dir damit?
Ich denke der Roman kommt schon zur absolut richtigen Zeit, wenn wir aktuell nach Chemnitz und Köthen schauen. Aber er ist ein Roman und bietet nur eine Perspektive unter vielen auf das Problem, das sehe ich auch so. Ich denke er stellt es in seinem Horizont – also Dorf, Jugend, Peer-Group – gut dar, aber eben nur in der Perspektive der beiden Brüder. Was ich in Ordnung finde, Bücher mit anderer Anlage bestimmt aber bestimmt intensiver können.
Die Sprache fand ich am Anfang durch diese Kargheit arg prätentiös gemessen am Inhalt (First-World-Problems!), dann wurde es nach meinem Empfinden deutlich besser, aber wahrscheinlich auch, weil mich der Inhalt dann auch mehr interessiert hat.
Ich habe so immer ein bisschen vermisst, dass mir Rietzschel etwas Neues zeigen kann oder mir einen Blick öffnet, wo ich „Aha, so kann man das auch sehen …“ denke. Das kam leider nicht, da habe ich während der Lektüre drauf gewartet.
Aber nichtsdestotrotz wirklich ein gutes Buch, das muss man auf alle Fälle festhalten!
Sehe ich genauso, gerade für ein Debüt sehr gut, und auch durchaus noch mit mehr Potenzial.