Ocean Vuong: Auf Erden sind wir kurz grandios

Nicht aufgeben. Ocean Vuong feiert in seinem Debütroman Auf Erden sind wir kurz grandios (Hanser) die Macht der Sprache. Selbst dann noch, wenn die eigene Ohnmacht erdrückend erscheint.

Ocean Vuong: Auf Erden sind wir kurz grandios

»Für meine Mutter« lautet die Widmung von Ocean Vuongs Debütroman Auf Erden sind wir kurz grandios, und schon den zweiten Satz richtet der Ich-Erzähler an seine Mutter:

Ma,
ich schreibe, um dich zu erreichen – auch wenn jedes Wort auf dem Papier ein Wort weiter weg ist von dort, wo du bist. […]
Ich schreibe, weil man mir gesagt hat, niemals einen Satz mit weil anzufangen. Aber ich wollte keinen Satz bilden – ich wollte freikommen. Weil Freiheit, so heißt es, nur der Abstand zwischen dem Raubtier und seiner Beute ist.

In dem kurzen Ausschnitt aus der ersten Seite dieses nicht nur kurz grandiosen Romans steckt schon alles drin, was ihn ausmacht. Die Selbstreflexivität des Schreibens an die tote Mutter und die Sehnsucht nach dieser. Die Schreibausbildung des Erzählers und sein Aufbegehren gegen die darin vermittelten, kalten Regeln. Die allgegenwärtige Gewalt und damit Unmöglichkeit der Freiheit, wenn diese nur ein etwas größerer Abstand zum Tod ist. Und nicht zuletzt die unglaubliche Kraft der Poesie, die Auf Erden sind wir kurz grandios trägt und die auch die Übersetzung von Anne-Kristin Mittag wunderbar einfängt.

Aus dem Gefühl heraus, seiner Mutter im Leben vielleicht nicht nah genug gewesen zu sein, erzählt er ihr sein und ihr gemeinsames Leben noch einmal, so wie er sich daran erinnert. Erzählt von der Flucht von Vietnam in die USA, von seiner anfänglichen Sprachlosigkeit, dem Erlernen einer neuen Sprache und Kultur. Erzählt vom Elend der Mutter, die für ihn und die Großmutter sorgen muss und dabei selbst immer zu kurz kommt. Und schwer erkrankt, gewalttätig wird, immer mehr neben sich steht. Von seiner schizophrenen vietnamesischen Großmutter und seinem einsamen amerikanischen Großvater, der den Vietnamkrieg psychisch nie überwunden hat.

Aber vielleicht am ergreifendsten erzählt er vom Entdecken seiner Sexualität. Der Junge, »Little Dog« genannt, merkt früh, dass er sich zu anderen Jungen hingezogen fühlt, vor allem zu Trevor. Die beiden freunden sich schnell an, werden immer intimer, führen schließlich so etwas wie eine Beziehung. Bis Trevor, ein Trailerpark-Junge, den Little Dog bei der Arbeit auf einer Tabakfarm kennengelernt hat, alles beendet. Sie leben in Hartford, Connecticut, im Jahre 2005, schwul zu sein ist keine wirkliche Option. Zumindest nicht, wenn man dort bleiben und sein Leben in Frieden führen möchte.

Die Wärme und Liebe, mit der Ocean Vuong in Auf Erden sind wir kurz grandios auf das Leben des Protagonisten zurückblickt, steht dabei der erfahrenen Gewalt, den Enttäuschungen, den Rückschlägen und der erlittenen Ungerechtigkeit fast komplett entgegen. Von allen Seiten prasselt es nur so auf den kleinen Jungen ein, der für nichts etwas kann, versucht, zu verschwinden, und doch immer wieder in der Schusslinie steht. Seine ungewollte Andersartigkeit ist immer wieder eine Provokation für seine spießige Umgebung, die Fremdartigkeit nur schwer verarbeiten kann.

Unverkennbar ist Vuongs lyrisches Talent in diesen Roman geflossen. Der liebevolle Blick auf die harte Vergangenheit wird getragen von einer poetischen Kraft, die ich in dieser Form lange nicht mehr gelesen habe. Reduziert auf das Nötigste und gleichzeitig wort- wie bildgewaltig liest sich der Roman. Ironischerweise transportiert dabei diese mächtige Sprache gerade ihr reales Gegenteil exzellent: die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens, die Machtlosigkeit den Umständen gegenüber, wie sie in allen Charakteren von Auf Erden sind wir kurz grandios schillert. Und wie die trotzige Liebe, die sie diesem unnachgiebigen Leben zukommen lassen, sie kurz grandios macht. Trotz allem – auch trotz der einen oder anderen Länge, die sich dann doch in den Roman eingeschlichen hat.

Auf Erden sind wir kurz grandios ist ein wunderbarer Roman, der die Sprache im Angesicht der eigenen Vergeblichkeit feiert. Der das Leben feiert, egal wie hart es auch sein mag, und die Liebe zu diesem Leben in den Vordergrund stellt, ohne die Gewalt, die es prägt, zu verschweigen. Ein Debüt, das glücklich macht. Trotz allem.

Ocean Vuong: Auf Erden sind wir kurz grandios

Ocean Vuong

Auf Erden sind wir kurz grandios *

Aus dem Englischen von Anne-Kristin Mittag

Hanser

240 Seiten | 22 Euro

Erschienen am 22.7.2019


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Kategorie Blog, Rezensionen

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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