Bruno Latour: Das terrestrische Manifest

Die nahende Klimakatastrophe stellt die Politik vor eine unlösbar erscheinende Aufgabe, bei der momentan ganz verschieden versagt wird. Bruno Latour durchleuchtet in Das terrestrische Manifest (Suhrkamp) die Gründe für dieses Versagen und macht Vorschläge für eine Zukunft, die kein toter Planet sein muss.

Bruno Latour: Das terrestrische Manisfest

Vor Kurzem erst trafen sich die Regierungen und NGOs zum Klimagipfel in Madrid. Überschattet von den politischen Krisen Lateinamerikas verfestigte sich dort immer mehr die Einsicht in dringenden Handlungsbedarf. Auch wenn wir auf aktuelle Regierungsprogramme und -erklärungen schauen, spielt der menschengemachte Klimawandel und die Maßnahmen gegen ebendiesen eine immer größere Rolle. Selbst die rechtspopulistischen Parteien haben das Thema weltweit auf der Agenda, auch wenn sie natürlich in erster Linie die Stimmen der möglichen Verlierer des nötigen Strukturwandels im Blick haben und jedwede Änderung strikt ablehnen.

Doch schauen wir von offiziellen Absichtserklärungen und allgemeinen Bekundungen von Handlungsbedarf weiter in Richtung Maßnahmen, wird es dünn. Das deutsche Klimapaket etwa ist gerade so stark genug, um den Status quo der Emissionen in Deutschland nicht weiter steigen zu lassen und eventuell etwas zu verringern. Nur »etwas« wird aber leider niemanden weiterbringen bei einem Thema, das weltweit angegangen werden muss und bei dem die Industrieländer eine Vorreiterposition einnehmen müssen. Im Angesicht der brennenden Wälder Australiens wird dies nur noch dringlicher.

In seinem terrestrischen Manifest wendet sich Bruno Latour der politischen Dimension des Klimawandels zu. Er fächert auf, wie Klimapolitik funktionieren kann und woran es momentan hapert. Im Mittelpunkt steht dabei immer ein bisher unbekannter Akteur auf der politischen Bühne: die Erde. Ich gehe hier nicht zu sehr in die Details, wo noch zwischen Konzepten und materiellen Realitäten unterschieden wird. Das macht durchaus Sinn, führt hier jedoch zu weit.

Latour schafft es sehr gut, zu erklären, wie das allmähliche Auftauchen des unbekannten Akteurs des »Terrestrischen« das Streben der Modernisierung verwirrt. War dieses in den letzten gut hundert Jahren vor allem durch die Globalisierung in ihren verschiedenen Formen geprägt, weist das Terrestrische zurück aufs Lokale: Think global, act/eat local! Das verwirrt nicht nur die bereits größtenteils globalisierte Welt, sondern auch das etablierte politische Spektrum.

Fridays for Future und Extinction Rebellion haben diesen Punkt schon sehr gut klargemacht: Auch wenn die Bewegungen eher von links- als rechtsgerichteten Politiker*innen unterstützt bzw. ernstgenommen werden, lassen sie sich nicht eindeutig für eine Richtung einvernehmen. Sie schweben frei, solange es allein um Umweltpolitik geht. Es ist an den Parteien, die Umwelt (oder das Terrestrische) in ihre Politik zu involvieren und Konzepte zu entwickeln, die diesen neuen politischen Akteur mitdenken, obwohl er nicht mit am Tisch sitzt, wenn verhandelt wird. Die Effekte von (versagender oder nicht vorhandener) Umweltpolitik werden dabei oft erst Jahre später sichtbar.

Heute sind alle: Dekor, Kulissen, Hinterbühne, das gesamte Gebäude, auf die Bühnenbretter gestiegen und machen den Schauspielern die Hauptrolle streitig. Das schlägt sich in den Textbüchern nieder, legt andere Ausgänge der Intrigen nahe. Die Menschen sind nicht mehr die einzigen Akteure, sehen sich zugleich aber mit einer Rolle betraut, die viel zu groß für sie ist.
Dass man sich nicht mehr dieselben Geschichten erzählen kann, steht jedenfalls fest. Die Spannung ist auf dem Höhepunkt.

Gewohnt bildhaft und für den doch recht hohen Grad an Komplexität des Themas ist das terrestrische Manifest ein schlagendes Argument für eine global agierende Umweltpolitik. Denn nur so ist der Planet, auf dem wir leben, zu retten. Gleichzeitig beschwört Latour den Wandel vom Anthropozän zum terrestrischen Zeitalter, einer Zeit, in der die Grundlagen unseres Lebens auf der Erde nicht mehr selbstverständlich sind und jede Handlung ihre globalen Konsequenzen mitdenken muss.

Bruno Latour: Das terrestrische Manisfest

Bruno Latour

Das terrestrische Manifest

Suhrkamp

136 Seiten | 14 Euro

Erschienen am 16.4.2018

Kategorie Blog, Rezensionen, Sachbuch

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

2 Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen Buchtip. Die Arguemente für eine globale Umweltpolitik und die Konzepte für die Konsequenzen stehen, nur an der Kooperationsbereitschaft fehlt es. Think global, act/eat local! ist das KOnzept der Wahl für den Einzelnen. Und für die Institutionen? Bin gespannt auf Latours Entwurf.

    • Danke für den Kommentar! Die Herausforderungen für den Nationalstaat sind so groß und auch so divers, dass das Konzept einfach nicht mehr haltbar ist, wenn diese Welt länger durchhalten soll. Latour dröselt das gut auf, sehr abstrakt, aber auch überzeugend. Definitiv ein Tipp!

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