Kathrin Weßling: Nix passiert

Wo nichts zu sehen ist, ist auch nix passiert. Oder? Kathrin Weßling richtet in ihrem neuen Roman Nix passiert (Ullstein) den Blick nach innen und erforscht die Kreise von Trauer, Depression und Identitätssuche in ihrem Protagonisten Alex.

Kathrin Weßling: Nix passiert

Alex ist verlassen worden. Nun tastet er sich durch die verschiedenen Lagen der Bewältigung, tätigt peinliche Anrufe, lässt sich gehen. Am Ende verlässt er sich aber doch am liebsten auf die beruhigende Wirkung des Alkohols. Die ihn allerdings emotional so einpackt, dass er in eine tiefe Depression rutscht und nur noch aus dem Bett kommt, um sein Glas zu füllen. Irgendwann zieht er in einem halbwegs wachen Moment die Notbremse und bricht aus – ausgerechnet zu seinen Eltern, die er sonst nur einmal im Jahr besuchte, wenn überhaupt.

Damit taucht er wieder ein in eine Welt, die er vor vielen Jahren mit höchster Befriedigung hinter sich ließ. Das Dorf ist – allgemein gesprochen – ein ganz eigener, kleiner Mikrokosmos, der im Gegensatz zur Stadt wenig Abwechslung bietet, begrenzte Möglichkeiten, aus denen es das Beste zu machen gilt, um glücklich sein zu können. Und der wenig Raum zum Verschwinden bietet. Die Anonymität der Großstadt ist hier so weit weg wie es nur geht, neugierige Augen überall. Auch die der Eltern und der Familie. Willkommen in Braus, Alex’ Heimatstädtchen.

Nix passiert könnte auf den ersten Blick auch Nix Neues heißen. Protagonist wird verlassen, fährt zurück zu den Eltern, konfrontiert sich mit der Vergangenheit, vor der er einst unverarbeitet weglief und die Konflikte bis heute in sich trägt. Nun kommen sie wieder hoch, er nimmt sie an und kommt zu einem gewissen Frieden mit seiner Vergangenheit und darüber zum ersten Mal in seinem Leben auch zumindest ansatzweise mit sich selbst. Und erkennt, dass das Dorf vielleicht doch nicht so schlimm ist, sondern es vielmehr er selbst war, der zu der Zeit nicht funktioniert hat und zu viele unbearbeitete Konflikte sein Leben unmöglich machten. Und auch, dass die Großstadt vielleicht doch nicht das Allheilmittel war und ist, da Verstecken nicht auf ewig funktionieren kann.

Das ist einfach, akkurat und trifft auf viele Menschen zu. Anschlussfähige Stoffe haben es generell leichter, also passt das schon mal. Könnte aber auch schnell fad werden, denn neu oder gar spannend ist das eigentlich auch nicht. Nix passiert ist aber nicht fad, nicht langweilig, trotz seiner nicht abzustreitenden Vorhersehbarkeit. Kathrin Weßling schafft es für mich, mit einem Mix aus absolut heutiger Sprache und den kleinen Besonderheiten im Setting, den Roman nicht absinken zu lassen. Von kleinen Längen hier und da abgesehen, die nicht verschwiegen werden sollen, hält der Roman wunderbar seine Spannung.

Lassen wir Alex also, schon ziemlich zum Ende, nach der dörflichen Läuterung, zu Wort kommen, wenn er an Berlin zurückdenkt:

Ein Leben ohne ständige Dramen, ohne Chaos, ohne Eigenbedarfsanmeldung und S-Bahn-Vollsperrung, ohne Kotze auf dem Schuh, ohne geklaute Tasche, ohne Shisha-Bars und ohne irgendeinen Irren am Kotti, der denkt, dass man von der Regierung ist und ihn umbringen will. Keine scheiß hippen Burgerläden, kein ständiges Umziehen, kein KitKat, nix. Einfach nur ein Ort, an dem nix passiert. Könnte ich das aushalten?

So ist Nix passiert natürlich auch ein Buch über Berlin und Großstädte und was an ihnen eigentlich gar nicht so lebenswert ist, wie man es sich gerne einredet. Sie sind nicht für jede:n von uns gemacht, und manche können sich das erst spät eingestehen, da das Selbstbild ein anderes ist. So auch bei Alex. Zumindest beim depressiven, trauernden Alex, denn entschieden wird im Roman nicht viel. Der Roman begleitet vielmehr den Anfang der Versöhnung von Alex mit sich selbst. Mit seinen Fehlern, seinen Marotten, seinen uneingestandenen Fehleinschätzungen. Und das ist alles andere als schmerzfrei.

Durch die Sprache, die Kathrin Weßling für ihren Ich-Erzähler gefunden hat, wird der Roman nicht nur enorm anschlussfähig, sondern erhält auch die dringend benötigten Ecken und Kanten. Alex ist sprunghaft, manisch, steigert sich selbst in manche Probleme hinein und windet sich vor anderen. Seine Beobachtungen, innen wie außen, sind dabei erfrischend spontan und nie altklug oder gar weise. Er tastet sich voran, nimmt kein Blatt vor den Mund und suhlt sich auch ganz gerne in seinem eigenen Elend. Trotzdem findet er hier und da ergreifende Worte, während er sich langsam an seine Vergangenheit, an Eltern, Freunde und Familie annähert und ganz, ganz langsam aus seinem kleinen Schneckenhaus herauskommt.

Nix passiert macht vor, wie sich altbekannte Stoffe verpacken lassen, damit sie trotzdem frisch und interessant daherkommen. Die Geschichte von Alex’ Selbstfindung hat mich gefesselt und berührt, abgestoßen und belustigt. Der Roman biedert sich nicht an, sondern erzählt einen schmerzhaften Prozess aus einer intimen Perspektive, ohne Beschönigung, ohne Kompromisse.

Kathrin Weßling

Nix passiert

Ullstein

240 Seiten | 18 Euro

Erschienen am 31.1.2020

Kategorie Blog, Rezensionen

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

Kommentar verfassen