Dina Nayeri: Der undankbare Flüchtling

Haben Geflüchtete dem Land, das sie aufnimmt, ihr Leben zu verdanken? Und wenn ja, bedeutet das, dass sie ihr verbleibendes Leben lang dankbar sein müssen? Dina Nayeri verquickt in Der undankbare Flüchtling (Kein & Aber) ihre eigene Geschichte mit denen anderer Geflüchteter und schreibt so ein vielschichtiges, bisweilen essayistisches Memoir über ein großes Thema unserer Tage – und der Zukunft.

Auch wenn Corona es momentan zu überblenden scheint: Erst vor kurzem hat das als griechische Hölle bekannte Lager Moria auf Lesbos gebrannt. Die Geflüchteten, die dort leben mussten, sind nun in ein anderes Lager gebracht worden, das nicht weniger überlastet ist, als Moria es war, und in dem sich die Zustände wieder ähnlich katastrophal gestalten wie zuvor. Gleichzeitig ist eine europäische Einigung zu einem gemeinsamen Asylrecht weiter nicht in Sicht, und wenn doch, dann wird die Ausführung erstmal große Fragezeichen aufwerfen.

In Der undankbare Flüchtling verknüpft Dina Nayeri die Migrationsgeschichte ihrer eigenen Familie mit Erlebnissen ihrer Arbeit in griechischen Lagern für Geflüchtete. Sie erzählt von Menschen, die dachten, sie führen in die Freiheit, nur um in nicht weniger schlimmen Lagern zu landen als zuvor. Dabei wendet sich Nayeris Fokus vor allem Menschen aus dem Iran zu, aus dem auch die Autorin kommt und den sie mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in den 1990er-Jahren verließ. Gerade Geflüchtete aus dem Iran haben es momentan schwer, da das islamistische Regime in Teheran im Westen mehrheitlich nicht mehr als Terrorstaat gesehen wird. Lediglich Menschen aus Syrien haben derzeit realistische Chancen, Asyl zu bekommen.

Auf das europäische Asylsystem geht Der undankbare Flüchtling vor allem in Form der Niederlande ein, wo Nayeri länger lebte. Die Niederlande sind ein gutes Beispiel, da der Staat ziemlich wohlhabend ist, aber wie viele andere mittel- und westeuropäische Staaten einen starken Rechtsruck in den letzen Jahren erlebte. So ist das Asylsystem getrieben vom Gedanken der Abschreckung, die Beamten nur darauf aus, die Geflüchteten der Lüge zu überführen, um sie guten Gewissens abweisen zu können.

Migranten verbringen den Rest ihres Lebens damit, darum zu kämpfen, dass man ihnen glaubt. Nicht weil sie Lügner sind, sondern weil sie dazu gezwungen sind, die Tatsachen an sehr eng gesteckte Definitionen von Wahrheit anzupassen. Ein Beamter, der es auf eine einzige Ungereimtheit abgesehen hat, handelt nicht in guter Absicht. So würde kein aufrichtiger Mensch mit der Wahrheit umgehen.

Auch die USA und Großbritannien werden behandelt, auch dort hat Dina Nayeri gelebt. Damit bietet Der undankbare Flüchtling ein ziemlich breites Bild von verschiedenen Asylsystemen, vor allem aber von verschiedensten Menschen und ihrem Umgang mit Flucht und Migration. Im Mittelpunkt steht dabei immer die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschichte und der Unmöglichkeit, diese hinter sich zu lassen.

So sehr mir die Reflexion der nicht abzuschüttelnden Identität der Geflüchteten gefallen hat, so sehr hat mich die persönliche Seite von Der undankbare Flüchtling mit der Zeit aber auch genervt. Irgendwie erscheint mir das Buch unentschieden zwischen den Anteilen von Memoir, Essay und Reportage, so als wisse es nie so richtig, was es werden wolle. Ich hätte mir mehr Essay und mehr Geschichten von Migrant*innen gewünscht und dafür deutlich weniger Memoir und Familiengeschichte. Denn so sehr die darin geschilderten Szenen auch die verschiedenen Rollen und Generationen und deren spezifischen Umgang mit der Migrationserfahrung veranschaulichen können – es war mir schlichtweg zu lang, zu ausführlich, zu persönlich, und hat mir die interessanteren Teile zu sehr verdrängt.

Dina Nayeri legt mit Der undankbare Flüchtling einen starken Appell für ein humanes Asylsystem vor. Für den Umgang mit Geflüchteten als Menschen, denen es zu helfen gilt, und nicht als Fälle, die lediglich abzuwickeln sind. Ihre Mischung aus Memoir, Reportage und Essay ist gewagt. Für mich geht sie nicht ganz auf, das Memoir ist mir zu mächtig und erschlägt die anderen Anteile zusehends. Der Appell bleibt aber stark und wichtig, wie dieses Buch im Ganzen auch.

Dina Nayeri

Der undankbare Flüchtling

Kein & Aber

400 Seiten | 24 Euro

Erschienen am 1.9.2020

Kategorie Blog, Fluchtliteratur, Indiebooks, Rezensionen

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

2 Kommentare

  1. Hallo,

    diese gut geschriebene Rezension lässt mich mit gemischten Gefühlen zurück! Einerseits möchte ich das Buch der Thematik wegen gerne lesen, andererseits erscheint mir die Kritik am Genremix schlüssig. Ich denke, das ist ein Fall für die Bibliothek bzw. die Onleihe – da kann ich erstmal reinlesen.

    LG,
    Mikka

    • Ist natürlich komplett subjektiv, dass mir das Memoir nicht so zusagt, aber es war mir einfach zu stark gewichtet.

      Liebe Grüße!
      Stefan

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