Caspar Dohmen: Lieferketten

Wo ein Produkt offiziell hergestellt wird, sagt schon lange nichts mehr darüber aus, wo seine Bestandteile herkommen. Caspar Dohmen geht in Lieferketten (Wagenbach) an einen der Hauptarme der Globalisierung und erklärt, welche Effekte die Internationalisierung der Produktion auf Mensch und Natur hat.

Dohmen: Lieferketten

Das Label »Made in Germany« steht heute weltweit für hohe Qualitätsstandards. Was von den Briten nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt wurde, um deutsche Produkte zu markieren und auch den britischen Markt zu diskreditieren, wandelte sich damit in sein Gegenteil. Was an hohen Qualitätsstandards in der Produktion vor Ort begründet lag, steht heute – zumindest bei den Produkten größerer Hersteller – nur noch für ein erfolgreiches Qualitätsmanagement von internationalen Lieferketten. Das »Made« bezieht sich lediglich auf die Endmontage, was auch gerne mal in dem Festziehen einer Schraube bestehen kann.

Für uns, die wir in Deutschland, also einem reichen Industrieland leben, ist diese Verlagerung der Produktion auf den ersten Blick ein Segen. Denn nur so ist es möglich, dass viele Produkte immer noch so günstig sind, dass wir sie uns, ohne wirklich darüber nachzudenken, leisten können. Sie ermöglichen ein unbedarftes Konsumverhalten, das sich in vielen Bereichen komplett verselbstständigt hat – zuletzt etwa Fast Fashion, aber auch Unterhaltungselektronik und Spielzeug für Kinder fallen hier ein.

Schaut man aber hinter die Fassade des schnellen Endorphinausstoßes nach einem tollen Schnapper, wird es schnell düster. Zahlreiche Produkte werden von modernen Sklaven gefertigt, von Kindern, misshandelten Frauen, Menschen in den prekärsten Arbeits- und Lebensverhältnissen. Diese befinden sich zu größten Teilen in der sogenannten »Dritten Welt« oder Peripherie, zum Teil aber auch gleich vor unserer Tür.

Je größer das Lohngefälle, desto größer die Marge, der Gewinn für den Auftraggeber, und desto kleiner die Gewinnaussichten der Produzenten vor Ort. Natürlich reicht etwa in Bangladesch ein Bruchteil dessen fürs Leben, was in Deutschland für einen vergleichbaren Standard nötig wäre. Doch das Perfide an den meisten Lieferketten ist, dass selbst diese geringeren Lebenshaltungskosten durch die Auftraggeber etwa aus Deutschland meist mutwillig unterlaufen werden, um die Preise zu drücken und Gewinne zu maximieren.

In Lieferketten nimmt Caspar Dohmen all diese Zusammenhänge detailliert auseinander und zeichnet ein plastisches Bild der Risiken für unsere Welt. Denn die Unterteilung in Zentrum und Peripherie, Erste und Dritte Welt ignoriert die Tatsache, dass Globalisierung niemals einseitig funktioniert. Denn Raubbau an den Menschen in den Entwicklungsländern verursacht Kosten, die die gesamte Welt, unser Planet wie die Staatengemeinschaft tragen muss. Sie verursacht Umweltzerstörung, Fluchtbewegungen, Millionen von Toten und Vertriebenen. In den letzten Teilen möchte Dohmen aber auch Mut machen:

Wer gerechtere und sozialere Verhältnisse in Europa und entlang der Lieferketten schaffen will, der muss bis zum Ende denken. Was geschähe, wenn alle Produzierenden und Arbeitenden entlang europäischer Lieferketten fair behandelt würden? Gelänge dies, schüfe es mehr Menschen in ihrer Heimat ein Auskommen und eine Perspektive vor Ort.

Das Buch stößt damit aus einer aufmerksamkeitsökonomisch eher unscheinbaren Ecke genau ins Zentrum der derzeitigen Debatte (wenn wir Corona mal großzügig ausnehmen): den Klimawandel und dessen verheerende Auswirkungen. Es zeigt die wirtschaftliche Logik hinter Umweltzerstörung und globalisierter Armut im schmerzhaften Detail. Eine wichtige Lektüre.

Caspar Dohmen

Lieferketten. Risiken globaler Arbeitsteilung für Mensch und Natur

Wagenbach

176 Seiten | 18 Euro

Erschienen am 10.3.2021

Kategorie Blog, Indiebooks, Rezensionen, Sachbuch

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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