[class] #6 »Hausfrau und Mutter« mit Anke Stelling, Marlen Hobrack und Jacinta Nandi

2021 ist eröffnet, am letzten Donnerstag ging »Let’s talk about class« mit Anke Stelling, Marlen Hobrack und Jacinta Nandi ins neue Jahr. Neu ist in diesem Jahr die thematische Zuspitzung der Diskussion. Diesmal stand das Thema »Hausfrau und Mutter« im Mittelpunkt.

Wie immer war das ACUD in Berlin der Ort der Wahl, wie seit Veranstaltung #2 fand der Abend aber über einen Livestream statt. Über Gründe und Frustrationen in diesem Zusammenhang soll es später noch gehen. Der Vorteil: Die ganze Veranstaltung kann noch einmal angesehen werden, den Link gibt es unten.

Ein Wort stand im Mittelpunkt der Diskussion: Unmöglichkeit. Wie ein roter Faden zieht er sich durch den Abend und macht klar, was das Thema »Hausfrau und Mutter« so schmerzhaft macht. Jacinta Nandi steigt gleich mit einem grundlegenden Paradox ein, das die Situation gut umreißt. Sie sagt, dass man es als Mutter fast nur falsch machen könne: Geht die Mutter arbeiten, ist vielleicht sogar noch erfolgreich im Beruf, vernachlässigt sie ihre Kinder, ist eine Rabenmutter. Tut sie das nicht, ist also die berühmt-berüchtigte »Nur-Hausfrau«, ist sie faul, liegt ihrem Partner und womöglich auch der Gesellschaft auf der Tasche. Auch wenn es hier je nach Klassenzugehörigkeit verschiedene Abstufungen gibt: die Unmöglichkeit, es einer patriarchal organisierten Gesellschaft als Mutter recht zu machen, ist überall – auch wenn die Zwänge andere sind.

Ihr eigens für den Abend geschriebener Text nimmt dann einen erschreckend aktuellen Aspekt des Themas in den Blick, den wahrscheinlich alle Zuschauer*innen schon selbst oder im Freundes- und Bekanntenkreis erlebt haben: Der Versuch einer Mutter, sich mit Kind(ern) von einem gewalttätigen oder auch nur unfähigen Partner zu trennen. Die Abhängigkeiten sind zum Teil so stark, dass es fast unmöglich wird. Wohnung, Geld, Schule – die deutsche Bürokratie setzt die Hürden extrem hoch, was Nandi auch im Vergleich mit England nochmal hervorhebt. Der gekippte Mietendeckel, der wie ein Damoklesschwert über der Veranstaltung schwebt, wird das auch nicht leichter machen.

Von insitutionellen und gesellschaftlichen Unmöglichkeiten schwenkt der Abend dann ins Persönliche. Die Journalistin Marlen Hobrack ist jung Mutter geworden, hat jedoch trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb ihren Weg im Beruf gemacht. Doch Corona stellt ihre (wie die meisten) Partnerschaft vor eine harte Zerreißprobe, bei der die Frage im Raum steht: Wessen Arbeit ist wichtiger, die des Mannes oder die der Frau? Und wer muss zurückstecken, um die gestiegenen zeitlichen Ansprüche an Care-Arbeit mit den Kindern auszufüllen?

Ihr Text dreht sich genau um diesen Punkt: Ist die selbstständige Arbeit der Frau im Kulturbereich weniger Wert als die Büroarbeit des Mannes, sodass sie selbstverständlich zurückstecken muss? Selbst dann, wenn sie mehr verdient? Alte Rollenbilder tauchen hier wieder auf, auch wenn sie in dem einen entscheidenden Punkt gewandelt sind: Die Frauen arbeiten, müssen die Care-Arbeit aber zusätzlich schultern. Ein interessanter Nebenaspekt führt noch zu einer kleinen Diskussion: Ist Kulturarbeit systemrelevant? Hier sind sich alle einig, dass das ein völlig falsches Kriterium, ja eine völlig falsche Selbsteinschätzung der Kulturbubble ist.

Um Gleichberechtigung und Anerkennung von Care-Arbeit geht es in Anke Stellings Text, der dem aktuellen Sammelband Klasse und Kampf entnommen ist. Darin begleitet eine Frau ihre sterbende Schwiegermutter. In ihren Gedanken, die sie direkt an die Leser*innen richtet, spiegelt sich dabei wider, wie sich Klasse und Geschlecht über die Generationen immer anders, aber doch auch immer gleich in die Frauen und ihr Selbstbild einschreiben. Die Scham, Anerkennung für die eigenen Leistungen einzufordern, da die Gesellschaft sie ihnen freiwillig nicht zuerkennen wird, zieht sich durch den Text und macht ihn zu einem höchst emotionalen Schlusspunkt, bevor der Abend in die Diskussion übergeht.

Natürlich geht es am Schluss um eine Vorstellung davon, wie ein gesellschaftliches Zusammenleben aussehen kann, das Lohn-, Care-, Politische sowie Arbeit am Selbst für jede Person unabhängig von Geschlecht, Race oder Klasse sicherstellt. Gerade dieser Bereich der Möglichkeit eines guten, gerechten und wertgeschätzten Lebens für alle stellt sich dann aber als kontrovers heraus. Die Utopie des perfekten Miteinanders scheint einfach noch so weit weg, dass schon der Gedanke daran ins Stocken bringt.


Den ganzen Abend gibt es hier noch einmal im Stream:

Die nächste Diskussion zum Thema »Aufstiegsbiografien« findet am 3.6.2021 statt.

Kategorie Blog, class

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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