Katharina Volckmer: Der Termin

Kleines Buch ganz groß: Mit Der Termin von Katharina Volckmer schickt der brandneue Kanon Verlag seinen ersten Spitzentitel ins Rennen. Eine gelungene Provokation, die Aufmerksamkeit erzeugen wird.

Katharina Volckmer: Der Termin

Neue Verlage gibt es immer mal wieder, klar. Aber seit Kampa ist wohl keiner mehr mit so viel Verve gestartet wie der Kanon Verlag. Auch hier haben sich alte Bekannte aus der Verlagswelt zusammengetan, um eine neue Marke zu etablieren. Ob der Name auch gleich auf die Aufstellung eines neuen Kanons abzielt? Das verspielte Logo mit dem Affen lässt so verstaubte Absichten in jedem Fall etwas unwahrscheinlicher erscheinen, und irgendeinen Namen braucht man ja schließlich.

Jetzt aber zum wichtigen Teil der Besprechung, zum Buch, also Katharina Volckmers Debütroman Der Termin, der von Milena Adam aus dem Englischen übersetzt wurde. Normalerweise halte ich die Autor*innen aus Buchbesprechungen ja komplett raus, da ich sie abgesehen von der Werkebene nicht wichtig für die Wirkung und Kritik von Büchern halte. In diesem Fall ist es aber ein klein wenig komplizierter bzw. interessanter.

Denn Katharina Volckmer ist als junge Erwachsene aus Deutschland nach England ausgewandert. Auch, um dem Deutschen zu entkommen – der Sprache, aber auch der Verklemmung, der German Angst und der damit einhergehenden Sperre, dem eigenen Verhältnis zur Geschichte begegnen zu können. Genauer, einen natürlicheren Umgang mit der Herkunft aus dem Tätervolk des Holocaust zu finden. Das ist auf Seiten der Nachkommen der Alliierten natürlich bedeutend einfacher, auch wenn da in Hinsicht auf die Vergangenheitsaufarbeitung auch nicht alles Gold ist, was glänzt.

In Der Termin finden wir uns nun in einem ärztlichen Behandlungszimmer ein. Gleich der erste Satz steckt das Terrain ab:

Das ist jetzt vielleicht nicht der beste Moment, um damit anzufangen, Dr. Seligmann, aber ich musste gerade daran denken, wie ich einmal geträumt habe, ich wäre Hitler.

Und kurz darauf:

Der Faschismus ist ja nur Ideologie um ihrer selbst willen, er vermittelt keine Botschaft, und am Ende waren uns die Italiener da sowieso voraus. Ich kann in dieser Stadt keine hundert Meter gehen, ohne irgendwo »Pasta« oder »Espresso« zu lesen, und ihre grässliche Flagge hängt an jeder Ecke. Das Wort »Sauerkraut« sehe ich nirgendwo.

Der Termin fällt gleich mit der Tür ins Haus, Gefangene werden in dem kurzen Roman so oder so nicht gemacht. Eine deutschstämmige Frau sitzt in England auf dem Stuhl eines jüdischen Arztes, der zwischen ihren Beinen hantiert, und spricht frei von der Leber weg. Die Provokation des Romans liegt gerade im Kombinieren von den verschiedensten vulgären Verdrehungen der NS-Geschichte und Hitlers im Selbstgespräch und auch in direkter Befragung des jüdischen Gegenübers.

Dass sich dieses Gegenüber nie selbst zu Wort meldet, gehört genauso zum Spiel von Der Termin wie das ewige Geheimhalten des eigentlichen Zweckes des Termins, den wir miterleben. Wir folgen dem beständig springenden Redefluss der Protagonistin. Der Roman berührt die verschiedensten Themen, die sich aber immer mehr auf einen Komplex einpendeln: patriarchale Machtstrukturen.

So ist Der Termin im Kern ein feministischer Roman, der die Provokation mit NS-Tabus eher auf einer vordergründigen Ebene benutzt, um einen Machtanspruch geltend zu machen. Die Rede der Frau ist ein Aufbegehren, ein Protest gegen den ihr in der Gesellschaft zugewiesenen Platz, den sie nicht länger akzeptieren will. Das schließt die anerzogenen Tabus ebenso ein wie die internalisierte Geschlechterrolle der Frau.

Katharina Volckmer hat einen Roman geschrieben, der sein Provokationspotenzial gekonnt einsetzt. Er überschreitet immer wieder Linien, ohne auf Geschmack oder Pietät Rücksicht zu nehmen, und holt sich damit die nötige Aufmerksamkeit für seinen feministischen Kern. Es wäre damit zu kurz gegriffen, dem Roman Geschmacklosigkeit vorzuwerfen, auch wenn vieles deutlich unter die Gürtellinie geht. Für mich war eher eine gewisse Schwäche in der Dramaturgie etwas störend, denn ein Roman von gerade mal gut 120 Seiten sollte einem wirklich nicht lang vorkommen. Aber das ist zu verschmerzen, wenn man ansonsten so schön aus der Komfortzone herausgerissen wird.

Katharina Volckmer: Der Termin

Katharina Volckmer

Der Termin

Aus dem Englischen von Milena Adam

Kanon Verlag

128 Seiten | 20 Euro

Erschienen in August 2021

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Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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