Väter-Bücher haben weiterhin Konjunktur. In Mittnachtstraße von Frank Rudkoffsky kämpft ein zweifacher Vater gleich an mehreren Fronten mit Ideal und Wirklichkeit und begibt sich dabei immer tiefer in die eigene Vergangenheit.
Im Leben von Malte ist einiges los. Der Sohn ist bei Fridays for Future aktiv und bietet ihm ordentlich die Stirn, wenn es um Ideale und Konsequenzen im Alltag geht. Die Tochter ist da noch nicht so gefestigt mit ihren vier Jahren, aber zum Kindergarten muss sie natürlich auch. Da Maltes Frau nach den Elternzeiten ihre Karriere, also die eigene Apotheke, wieder richtig in Schwung bringen will, hat er alle Hände voll zu tun. Gerade auch, wenn er seine eigene Karriere als Journalist und freier Texter nicht komplett fallen lassen möchte.
So hat er schon mal ordentlich Druck, auch, weil er selbst Ansprüche hat, Haltung zeigen will. Er versucht, bei den aktuellen Debatten am Ball zu bleiben, ist bewandert bei Klimawandel und Antirassismus, würde sich selbst schon als woke bezeichnen und kritisiert sich immer wieder selbst dafür, auf andere, weniger belesene Menschen runterzuschauen. Ganz ablegen kann er das aber nicht, so sehr es auch versucht.
Da kommen so einige Erwartungen zusammen: ein guter Vater sein, ein guter Ehemann, ein guter Journalist und dazu auch noch moralisch komplett integer und selbstkritisch. Das macht sich nicht von allein. Kein Wunder also, dass mit steigendem Stress seine Zündschnur immer kürzer wird. Als dann plötzlich sein Vater wieder auf der Matte steht und offensichtlich noch viel größere Probleme hat, verschlägt es Malte in die verdrängte Vergangenheit, in die Kleingartenkolonie des Vaters und die Konflikte, die dort lodern. Aber auch die, die er selbst nie wirklich verarbeitet hat.
Der kurze Rundumschlag in Mittnachtstraße von Frank Rudkoffsky zeigt: Es ist viel los. Probleme gibt es an allen nur erdenklichen Ecken, dem Protagonisten bietet sich praktisch kein Zufluchtsort, an dem er einfach friedlich und für sich sein könnte. Das fängt die Lebenssituation junger Eltern, hier in der ganz ausdrücklich väterlichen Perspektive, gut ein, spitzt es aber natürlich auch sehr zu.
Malte ist mit seinen endlosen, unaufgearbeiteten inneren Konflikten, die sich unaufhaltsam den Weg nach außen bahnen, weder einfach Karikatur oder Hanswurst. Auch wenn die Erzählung überhaupt nicht zimperlich mit ihm umgeht und ihn immer wieder in Situationen rennen lässt, an denen er scheitert und sich blamiert, behält er doch seine Würde und bekommt über den Lauf des Romans die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, ohne dabei in ein lineares Kitschmuster zu verfallen.
Damit liefert Mittnachtstraße eine intime bis schmerzhaft genaue Nabelschau eines mittelalten Mannes und Vaters im Hier und Jetzt. Schonungslos, aber nicht ohne Sympathien für seinen Protagonisten schleust der Roman ihn durch einen zum Teil schon etwas zotigen Plot, der aber nie zu albern oder unglaubwürdig wird. Das ist unterhaltsam, kurzweilig und flott geschrieben, relevant und auch politisch, bleibt aber natürlich im Gegensatz zum Vorgänger Fake größtenteils auf die männliche Perspektive beschränkt.
Mittnachtstraße ist ein unterhaltsamer, aber auch mal schmerzhafter und tiefgründiger Roman, der am Nabel der Zeit ist, ohne sich komplett auf Zeitgeist getrimmt anzufühlen. Er setzt fort, was mit Fake seinen Anfang nahm, und schreibt die Geschichte eines mittelalten Vaters auf der Suche nach sich selbst inmitten von Konflikten, die sich immer höher um ihn aufzutürmen scheinen.
Frank Rudkoffsky: Mittnachtstraße | Voland & Quist | 272 Seiten | 24 Euro | Erschienen im September 2022