Kein Land erzeugt so viele Emotionen in Deutschland wie dieses: In Über Israel reden. Eine deutsche Debatte setzt sich Meron Mendel mit dem Verhältnis der Deutschen zu seinem Heimatland Israel auseinander.
Meron Mendel beginnt Über Israel reden – nach einem kurzen Abstecher in seine eigene politische Sozialisation – mit der documenta fifteen. 2022 scheiterte die große Kunstausstellung ebenso medienwirksam wie komplett hilflos an der öffentlichen Empörung über Kunstwerke mit antisemitischen Darstellungen, die alle guten Aspekte der Ausstellung komplett überschatteten und am Ende ein sehr negatives Bild hinterließen – sowohl von der documenta selbst als auch von der Idee, ein indonesisches Künstler*innenkollektiv mit der Leitung zu betreuen und damit dem globalen Süden eines der größten Kunstforen zu überlassen. Eine öffentliche Debatte, die so vermutlich nur in Deutschland stattfinden konnte.
Momentan gibt es einen weiteren Fall in den Medien: Die auch bei der documenta fifteen nicht in bester Erinnerung gebliebene Kulturstaatsministerin Claudia Roth wird bei einer Rede beim Jewrovision Festival von Teilen des mehrheitlich jungen jüdischen Publikums lautstark ausgebuht. Zugleich gibt es eine Gegenbewegung anderer jüdischer Personen, die sich hinter Roth stellen bzw. die öffentliche Demütigung kritisieren, zu ihnen gehört u.a. Meron Mendel. Wieder ist eine Debatte entflammt, die Fronten scheinen verhärtet.
Wo kommt diese ewige Verhärtung her, wenn in Deutschland über Israel gesprochen wird? Wieso ist dies gerade in Deutschland der Fall, und was bezwecken viele Protagonist*innen der öffentlichen Debatten mit ihren lautstarken Äußerungen? Meron Mendel widmet sich in Über Israel reden. Eine deutsche Debatte diesen Fragen und nimmt dabei verschiedene Milieus in den Fokus. Er analysiert, wie sich einzelne Protagonist*innen in Diskussionen verhielten und welche Positionen dabei immer wieder aufeinandertreffen.
So geht es in den vier Kapiteln des Buchs um die Staatsräson, den BDS-Streit, die Spaltung der Linken und die deutsche Erinnerungskultur. Indem sich Mendel an diesen Themen entlang hangelt, gelingt es ihm sehr gut, aufzuzeigen, wo die Abrisskanten zwischen verschiedenen Positionen verlaufen und wie diese sich historisch ausgebildet haben. So gibt es praktisch immer ein Lager, das sich bedingungslos hinter Israel stellt und selbst Kritik an dessen Politik nicht für akzeptabel, also antisemitisch hält. Die andere Seite dagegen kann Israel kaum als Staat akzeptieren, sondern sieht darin einen kolonialen Aggressor im Nahen Osten, einen Ableger des Westens, der durch seine religiöse Verfassung als jüdischer Staat Palästinenser*innen systematisch ausschließt, schikaniert, ja auch vor einem Genozid nicht zurückschreckte und -schreckt.
Gerade in der deutschen Linken ist diese Spaltung in zwei Lager höchst dogmatisch und in den verhärteten Kernbereichen nicht diskutabel. Natürlich können sich alle auf ein entschiedenes »Nie wieder!« einigen, wenn es um Nazi-Deutschland geht, aber da hören die Gemeinsamkeiten dann oft schon auf, solange es um Israel geht. In der Politik dient die Position zu Israel gerade in der Rechten dazu, eine Opfer-Täter-Umkehr zu vollziehen. Ist Israel ein kolonialer Aggressor, begehen sie gar einen Völkermord an den Palästinenser*innen, könne es mit dem jüdischen Opferstatus aufgrund des Holocaust ja nicht mehr weit her sein, ergo brauche auch Deutschland kein »Denkmal der Schande« mehr in der Mitte seiner Hauptstadt usw.
Bemerkenswert an Mendels Darstellungen ist vor allem seine beständige Arbeit an der Aufrechterhaltung der Kommunikation zwischen den Lagern. Er versucht dies durch seine eigene Position und Sprechhaltung zu erreichen, die sich durch einen möglichst rationalen, kritischen, aber eben auch offenen, aufgeschlossenen Ansatz auszeichnet. Immer wieder nimmt er Anekdoten aus seinem eigenen Alltag dazu, um seine Ausführungen lebendig zu machen. Natürlich wird auch diese Haltung die Last der deutschen Geschichte, die wie ein Druckkessel auf dem Verhältnis zu Israel liegt, nicht leichter machen. Aber vielleicht kann damit das Ventil zumindest ein wenig geöffnet werden, sodass mehr Dialog und damit auch eine weniger dogmatische Diskussion über Israel möglich wird.
Über Israel reden ist ein überaus interessantes und lehrreiches Buch, das Hoffnung gibt. Meron Mendel versucht sich nicht an der Quadratur des Kreises, er geht nicht wirklich auf den Nahostkonflikt an sich ein, sondern bleibt ganz bei den Deutschen und ihrem Verhältnis zu Israel. Er schreibt ohne Wertungen (ausgenommen gegen rechtsextreme Einstellungen natürlich) und wagt damit das Experiment eines ruhigen Diskurses. Ob es funktioniert, muss die Rezeption zeigen.
Was schon jetzt feststeht: Mendels Buch ist meiner Meinung nach zurecht für den Deutschen Sachbuchpreis 2023 nominiert, und ich habe mich sehr gefreut, dass er uns im Rahmen des #sachbuchpreisbloggens als Patentitel zugeteilt wurde. Mehr Infos zum Preis und Über Israel reden gibt es hier.
Meron Mendel: Über Israel reden. Eine deutsche Debatte | KiWi | 224 Seiten | 22 Euro | Erschienen im März 2023
Das klingt interessant. Es ist tatsächlich nicht leicht, in Deutschland über Israel zu sprechen. Der Holocaust ist so unfassbar. Er kann weder vergessen noch „bewältigt“ werden. Er wird immer als Schande und Ungeheuerlichkeit bleiben. Andererseits gibt es aber auch ddas Unbehagen gegenüber der Politik Israels gegenüber den PalästinenserInnen, die ja auch von Rassismus, Menschenrechtsverletzungen und Ungerechtigkeiten geprägt ist. Was darf dazu in Deutschland gesagt werden? – Wo beginnt der Antisemitismus, dem gegenüber wir gerade hier in Deutschland besonders sensibel sein sollten????
Genau darum geht es, aber noch vielmehr um das wie eines Dialogs als um das was, denn bei letzterem ist Mendel eher entspannt, solange weder geleugnet noch verharmlost wird. Also ich kann die Lektüre nur Wärmsteins empfehlen!
Danke für den Lesetipp!