Luna Ali: Da waren Tage

Aus Syrien nach Deutschland: Luna Ali erzählt in ihrem Debüt Da waren Tage vom Leben eines Syrers in Deutschland und wie das Stigma der Flucht sich unweigerlich in alle Lebensbereiche einschreibt.

Ali, Da waren Tage, Cover

Aras ist so ziemlich das, was sich konservative Parteien unter einem »guten Geflüchteten« vorstellen: Er spricht akzentfrei Deutsch, war sehr gut in der Schule, studiert Jura, hat ein gutes Verhältnis zu seiner Mutter, eine deutsche Freundin, viele deutsche Freund*innen, und ist nicht religiös. Bei diesem Profil jubiliert die CDU, keine Frage.

Auf der schlechten Seite ist er aber politisch interessiert und engagiert sich in linken Gruppen, möchte sich im Studium auf Ausländerrecht spezialisieren und pflegt weiterhin Kontakte nach Syrien, außerdem unterstützt er seine Mutter bei der Organisation von Demonstrationen von Exil-Syrer*innen sowie bei dem Versuch, weitere Verwandte über den Familiennachzug nach Deutschland zu holen. Etwas Schwund ist aus konservativer Sicht halt immer, aber immerhin bewegt er sich durchgängig auf zivilgesellschaftlichem Terrain.

Da waren Tage erzählt Aras Leben in Deutschland im Stile eines Bildungsromans der klassischen Moderne. Ein Kapitel pro Jahr greift jeweils eine Episode heraus und schildert sie aus einer traditionellen, auktorialen Perspektive. Aras steht immer deutlich im Mittelpunkt, aber die Erzählinstanz kennt die Gedanken und Gefühle aller Personen im Roman und schildert sie, außerdem kommentiert sie gelegentlich, greift vor oder macht Andeutungen.

So lesen wir, wie Aras trotz aller Anpassung an Deutschland doch immer der Geflüchtete bleibt, wie seine Fluchtgeschichte jeden Smalltalk schnell bestimmt und dabei immer in den gleichen Bahnen verläuft. Wie Behörden ihn und seine Familie schikanieren, Deutsche an ihrem white saviorism scheitern, und er selbst mit seiner postmigrantischen Identitätsbildung zwischen seinen vielen und zum Teil sehr gegensätzlichen Persönlichkeitsfacetten kämpft. In jedem Jahr wird eine andere Facetten seines Daseins geschildert. Das ist oft sehr gut gemacht, in seiner Ausführlichkeit wirkt es aber beizeiten auch so, als müssten wirklich alle Diskriminierungen von Menschen mit Fluchtgeschichte am Beispiel von Aras abgearbeitet werden.

Stilistisch bewegt sich der Roman sicher in diesem Setting, was einen schönen Bruch zwischen der klassischen Anmutung und der sehr heutigen Geschichte erzeugt. Um diese Brüche noch zu verstärken, setzt Da waren Tage noch zwei weitere Mittel ein. Zum einen kippt der Stil, sobald für Aras traumatische Ereignisse geschehen oder er an diese erinnert wird. Die Satzstellung ändert sich, wird sehr ungewöhnlich, sodass der Lesefluss gestört wird. Leider steht das für mich in Konflikt zur auktorialen Perspektive, die sich nicht ändert.

Zum anderen sind manche Kapitel gestürzt gesetzt, man muss das Buch also drehen, um sie zu lesen. Dazu sind sie in mehreren Spalten angeordnet. Diese Kapitel erzählen nun mehrere Stränge nebeneinander, die man am Ende auch einfach linear liest und im Kopf zusammensetzt. Andere Romane wie Für Seka von Mina Hava funktionieren komplett auf diese Weise, es ist für mich also etwas unverständlich, welchen Effekt der gestürzte Text in Spalten noch haben soll, außer, dass es beim Durchblättern experimentell aussieht.

Da waren Tage behandelt ein ebenso wichtiges wie aktuelles Thema in einem gut erdachten Setting. Es hätte ihm aber meiner Meinung nach gut getan, weniger Experimente zu machen und auch gern um einige Seiten kürzer zu sein.

Luna Ali: Da waren Tage | S. Fischer | 304 Seiten | 24 Euro | Erschienen im März 2024

Kategorie Blog, Rezensionen
Autor

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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