Simon Sahner und Daniel Stähr erkunden in Die Sprache des Kapitalismus die Ablagerungen ebenjenes Kapitalismus in unserem Alltag und wie er sich dadurch alternativlos macht.
Wenn der Markt nervös wird, steigen die Preise. Sätze wie dieser sind für uns eine Normalität im täglichen Nachrichtenkonsum. Irgendetwas passiert – sei es ein Krieg, ein Angriff, eine Naturkatastrophe oder auch nur ein wahnsinniger Tweet von Elon Musk zu einer seiner Firmen – und im Effekt wird der Markt nervös, was wiederum steigende Preise nach sich zieht. So läuft es halt, oder?
Simon Sahner und Daniel Stähr schauen sich in Die Sprache des Kapitalismus genau solche Sätze an, die wie schlichte und selbstverständliche Naturgesetze klingen. Sie bündeln ihre kulturwissenschaftliche und ökonomische Kompetenz, um den Schleier der Selbstverständlichkeit wegzureißen und statt dessen freizulegen, was hier eigentlich spricht: ebenjene Sprache des Kapitalismus. Denn Märkte werden nicht nervös, sie sind ein bloßes vereinfachendes und gern personifiziertes Konstrukt, um ein komplexes Zusammenspiel von Teilnehmer*innen und gesetzlichem Rahmen zu beschreiben. Teilnehmer*innen von Märkten können nervös werden. Sie sind es dann auch, die als Ergebnis dieser Nervosität Preise erhöhen können – aber eben nicht müssen.
Es lassen sich noch viel mehr Beispiele für diesen Zusammenhang finden. Die Sprache des Kapitalismus listet wohl die eindrücklichsten auf und durchleuchtet sie unter verschiedenen Aspekten, etwa der Rolle von Metaphern, Bildern und Vergleichen, Selbsterzählungen erfolgreicher Kapitalist*innen und nicht zuletzt auch der Sprache von Ökonom*innen und Politiker*innen. Die Beispiele kommen im weitesten Sinne aus der Popkultur, Reden von Steve Jobs treffen auf Statements von Guido Westerwelle und Zitate aus dem Film The Wolf of Wall Street.
Diese bilden dann ein wunderbares Panorama unserer sprachlich gefassten Welt, das den Punkt des Buchs klar hervorhebt: Der Kapitalismus hat sich tief in den Grundfesten unserer Sprache, und mit dieser eben auch in unserer Lebenswelt verankert. Und damit verbindet sich ein ganz bestimmter Eindruck: Er ist alternativlos. Was sich hier jetzt erstmal ganz schön fatalistisch anhört, erklärt sich durch den eingangs erwähnten Eindruck. Denn wenn uns die Funktionsweise des Kapitalismus als Naturgesetz erscheint, dann können wir auch nichts gegen ihn und seine Effekte unternehmen. Wir können ja auch nicht die Gravitation ausschalten, weil sie uns nicht passt.
Diesen Eindruck des Ausgeliefertseins gilt es damit zu entkräften. Und das geht nur über langwierige Arbeit an unser aller Sprache. Denn nur wenn ökonomische Zusammenhänge als aktive Handlungen von Marktteilnehmer*innen und damit nicht als Schicksal dargestellt werden, bekommen wir wieder ein Bewusstsein für das eigentlich Wichtigste in diesem Zusammenhang: unsere eigene Handlungsmacht. Die Autoren machen zum Schluss diesen Horizont auf, den sie allein natürlich nicht ändern können.
Die Sprache des Kapitalismus von Simon Sahner und Daniel Stähr gibt einen sehr guten Einblick in die sprachlichen Ablagerungen des Kapitalismus in unserer Lebenswelt und wie er sich darin für uns als alternativlos darstellt. Es ist kurzweilig zu lesen, auch ohne weitere Vorkenntnisse in Ökonomie oder Kulturwissenschaften. Mit Vorkenntnissen ist die Argumentation eher manchmal schon zu vorsichtig und erklärend – was aber ein winziger Kritikpunkt für ein ansonsten sehr gelungenes Buch ist.
Simon Sahner, Daniel Stähr: Die Sprache des Kapitalismus | S. Fischer | 304 Seiten | 24 Euro | Erschienen im März 2024