Marco Damghani: Die Insel Sertralin

Psyche und postmigrantische Identität: Marco Damghani bearbeitet in seinem humorigen Debütroman Die Insel Sertralin das Thema psychische Gesundheit in vielen Facetten.

Die Insel Sertralin, Cover

Nick kann nicht mehr. Panikattacken bestimmen seinen Alltag, immer öfter bleibt er im Bett liegen, kommt einfach nicht raus. Hilfe aus der eigenen Familie ist schwer zu kriegen, sein Vater ist Iraner und hat einen Wertekompass, in den Depressionen einfach nicht hereinpassen. Seine Mutter dagegen ist Sozialpädagogin und das komplette Gegenteil. Aber da sie selbst Nicks gesamte Jugend durch mit Depressionen zu kämpfen hatte und sie nie wirklich darüber gesprochen haben, scheint auch diese Tür für Nick verschlossen.

Eine*n niedergelassene*n Psychotherapeut*in zu finden, scheint aussichtslos, schon bei einer leichten Depression. In Nicks schweren Schüben ist es praktisch unmöglich. Umso größer ist die Erleichterung, als er in eine Klinik aufgenommen wird. Absurderweise wird es aber selbst in der Einrichtung nicht leichter, mit einer qualifizierten Person über seine Depressionen zu sprechen. Denn zu allem Überfluss sind wir relativ am Anfang der Coronapandemie und damit in der Zeit von Isolation und Tests. Wohl eine der schlimmsten Zeiten der letzten Jahre für Personen mit psychischen Erkrankungen.

Die Insel Sertralin von Marco Damghani wird in einem durchgehenden Gegenwartsplot aus Nicks Perspektive erzählt, wobei immer wieder Rückblenden eingeschoben werden, die sein Leben vor der Klinik und seine Familiengeschichte beleuchten. Damit bündelt der Roman wichtige Themen: postmigrantische Identität und Rassismus, Klassismus und gläserne Decken, psychische Gesundheit und die schlechte Versorgung im Gesundheitssystem im Allgemeinen sowie unter Pandemiebedingungen im Besonderen. Ein Bündel, das viel verspricht.

Leider kann Die Insel Sertralin das für mich aber nicht einlösen. In erster Linie liegt das am Stil. Nicks Sprache im Roman ist flapsig und bemüht lustig, ein witziges Adjektiv jagt das nächste, von putzigen Synonymen ganz zu schweigen. Leider überhaupt nicht meine Welt. Dazu lässt der Roman praktisch keine Lücken, alle Gefühlsregungen werden komplett auserzählt, eigenes Denken beim Lesen ist nicht erforderlich.

Und dann sind da gerade zum Ende hin, wenn es Nick nach vielen Fehlschlägen immer besser geht und er dazu noch viele neue Freunde gefunden hat, die Küchenpsychologie-Phrasen und Feel-Good-Momente. Hier hat mich der Roman leider komplett verloren, zu vorhersehbar ist das alles. Sehr schade, denn er hat auch richtig gute Momente, etwa wenn Nick mal vergisst, lustig sein zu müssen, und einfach von seiner Jugend, seiner Familie in Teheran und seiner Mutter erzählt. Hier liegt ein großes Potenzial, das aber leider viel zu selten abgerufen wird.

Alles in allem ist Die Insel Sertralin von Marco Damghani damit nicht mein Buch. Die Themen sind gut gesetzt, der Protagonist hat im Gegensatz zu vielen anderen Romanen wirklich etwas zu erzählen. Wie er das aber tut, wird den Themen dann für mich einfach nicht gerecht. Durchgängig mit Humor zu schreiben ist meiner Meinung nach eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt, und der ist der Roman für mich leider nicht gewachsen.

Marco Damghani: Die Insel Sertralin | Jaron | 314 Seiten | 24 Euro | Erschienen im März 2024

Kategorie Blog, Indiebooks, Rezensionen
Autor

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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