Fatma Aydemir & Hengameh Yaghoobifarah (Hg.): Eure Heimat ist unser Albtraum

Check your privilege! In der Anthologie Eure Heimat ist unser Albtraum (Ullstein fünf) bündeln Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah Texte marginalisierter Autor*innen zu einem starken Schlag gegen die Ignoranz der Mehrheitsgesellschaft. Und landen einen ordentlichen Treffer.

Eure Heimat ist unser Albtraum

Zu Recht hat man sich bei Ullstein dazu entschieden, die Beiträger*innen der neuen Anthologie Eure Heimat ist unser Albtraum ganz prominent mit auf’s Cover zu nehmen. Besser hätte man sich das Feld kaum ausmalen können. Es hat eine gute Mischung zwischen etablierten Belletristik-Autor*innen wie Fatma Aydemir, Olga Grjasnowa, Sasha Marianna Salzmann und Sharon Dodua Otoo auf der einen Seite und Essayist- wie Publizist*innen auf der anderen. Dazu zählen die zweite Herausgeber*in Hengameh Yaghoobifarah genauso wie Margarete Stokowski, Reyhan Şahin (aka Lady Bitch Ray) oder Max Czollek.

Alle Beitragenden eint ihre Zugehörigkeit zu einer marginalisierten Gruppe – oder, um es so negativ zu formulieren, wie es sich auf die persönlichen Erfahrungen auswirkt: ihre Nicht-Zugehörigkeit zur deutschen Mehrheitsgesellschaft. Nicht dazuzugehören heißt dann am Ende oft ganz lapidar, heimatlos zu sein. Ich will mich hier gar nicht daran versuchen, den umkämpften Begriff »Heimat« erschöpfend zu definieren, sondern der Einfachheit halber sagen, dass Heimat ein Ort ist, an dem man sich sicher fühlt, aufgehoben, dazugehörig. An dem man einfach gerne lebt.

Dieses Gefühl, heimatlos zu sein, sich nicht zugehörig zu finden, wird durch den Ausschluss aus der Mehrheitsgesellschaft schnell zu einem alles färbenden Stich im eigenen Leben, ja in der Identität eines Menschen. Eure Heimat ist unser Albtraum versucht, so viele Facetten der Diskriminierung aufzuzeigen wie möglich. Dabei geht es aber nicht in erster Linie um die Art der Diskriminierungen (Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Antisemitismus, Ableismus etc.), sondern darum, wie diese das Leben der Betroffenen zum Albtraum machen.

Meine Lieblingstexte der Anthologie gehen von persönlichen Erfahrungen aus, die sie dann (mal mehr, mal weniger) ausweiten. Ich möchte hier aber keine Texte hervorheben, da ich denke, dass sie bis auf ganz wenige Ausnahmen durchweg wirklich stark sind. Sie machen ihre Punkte, indem sie die Lesenden ein wenig teilhaben lassen an ihrer Realität und den Erfahrungen, die die Schreibenden darin immer wieder machen. Etwa so, hier im Text Privilegien von Olga Grjasnowa:

Im Englischen gibt es den schönen Ausdruck »check your privilege«, der vorschlägt, sich doch zu fragen, welche Privilegien man eigentlich hat, bevor man sich ein Urteil über das Leben anderer macht. In Deutschland ist dagegen »Heimat« wieder en vogue, und ein alter Mann, der die Migration für die Mutter aller Probleme hält, ließ sich zum Heimatminister krönen. Vor diesem Ministerium keine Angst haben zu müssen ist übrigens auch ein unheimliches Privileg.

Eure Heimat ist unser Albtraum setzt die Einstiegsschwelle möglicht niedrig, um so viele potenzielle Leser*innen erreichen zu können wie möglich. Das finde ich wirklich toll, da viele Diskurse, die sich mit Diskriminierungen auseinandersetzen, aufgrund ihrer Komplexität schnell dazu tendieren, für Außenstehende zu sperrig zu werden. Auf der anderen Seite könnten die Texte aber für Menschen, die sich in den jeweiligen Diskursen schon sehr gut auskennen, vielleicht ein bisschen zu seicht oder zu wenig innovativ daherkommen.

Für mich war die Anthologie aber in jedem Fall ein großer Gewinn. Nach der Lektüre blickt man nochmal kritischer auf die eigenen Privilegien (und hier gibt es bei mir viel zu hinterfragen), auf die eigene Wirkung auf andere Menschen und auch auf die Reaktionen von anderen Menschen auf das eigene Verhalten. Es ist dieser Denkanstoß, der die Anthologie für mich unverzichtbar macht.

Eure Heimat ist unser Albtraum

Fatma Aydemir & Hengameh Yaghoobifarah (Hg.)

Eure Heimat ist unser Albtraum *

Ullstein fünf

208 Seiten | 20 Euro

Erschienen am 22.2.2019


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Kategorie Blog, Rezensionen, Sachbuch

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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