Liebe hat viele Gesichter. Sarah (Ars Vivendi) von Scott McClanahan zeigt sie in einem Teil der USA, der eher wenig Aufmerksamkeit bekommt. Der mittlere Westen, genauer: West Virginia. White-Trash-Territorium also. Mein Indiebookday-Kauf 2020, und ein Treffer!
Ich muss natürlich unumwunden zugeben, dass mir der Autor absolut nichts sagte, als ich das Buch zur Hand nahm. Schon mehr der Übersetzer, Clemens Setz (hier ohne J.), der – soviel sei schon hier gesagt – ganze Arbeit geleistet hat. Das Cover spricht mich in seiner hingeschmierten Krakeligkeit auch an, den Rest übernahm die Empfehlung vom ocelot, und schon war ein Kauf zum Indiebookday 2020 unter bisher ungekannten Umständen gebongt. So schnell kann es manchmal gehen, und das Zusammenspiel aller Faktoren hat mir einen überaus interessanten kleinen Roman beschert.
Sarah ist die Geschichte der Liebe zwischen Scott, der den Roman erzählt, und eben Sarah. So wie ziemlich alles in diesem Buch ist auch die Liebe zwischen den beiden aber kaputt. Vielleicht noch nicht so kaputt wie Scott, der sich bei der kleinsten Gefühlsregung reflexartig zulaufen lässt. Aber ein derart kaputter Teil reicht ja auch schon aus, um die Scheidung einzureichen. Auf ebendiese steuert die Gegenwartshandlung zu, während Scott beim Erzählen immer wieder in die Vergangenheit schweift und Stück für Stück die herzerweichende Geschichte der beiden erzählt.
Ich betrank mich und nach und nach verschwand der Inhalt der Flasche und ich saß auf dem Bett und verlor das Bewusstsein, wachte wieder auf und trank weiter. Ich trank, bis alles wirr und witzig wurde. Der ganze Raum wurde betrunken. Ich dämmerte davon und fühlte irgendetwas zwischen meinen Beinen und auf dem Bettlaken unter mir. Ich schaute nach unten und da war so ein Fleck aus Feuchtigkeit, und die Feuchtigkeit war braun. Er hatte die Form eines Heiligenscheins. Ich berührte ihn und stellte fest, dass er aus Scheiße bestand. […] Ich war Scott McClanahan und ich hatte gerade ins Bett geschissen.
Sarah legt die Messlatte hoch, der Roman verschont weder die Leser*innen noch den Erzähler. Mit brutaler, entwaffnender Ehrlichkeit schildert dieser immer wieder Situationen von schockierender Peinlichkeit, dass es einem beim Lesen abwechselnd kalt den Rücken runterläuft und man laut auflachen muss. Clemens Setz hat in der Übersetzung eine Sprache für Scott gefunden, die wie die Faust auf’s Auge passt und ebenso natürlich wie auf eine schroffe Weise literarisch wirkt.
Denn der Protagonist Scott ist Englisch- oder vielleicht auch Literaturlehrer und besitzt nach eigener Aussage die größte Privatbibliothek West Virginias. Es fällt zwar nicht leicht, sich vorzustellen, wie er seinen Job bei dem geschilderten Alkoholkonsum noch auf die Reihe kriegt, aber dumm ist er jedenfalls nicht. Und seine Liebe zu Sarah ist echt, genauso wie ihre zu ihm. Das ist die todtraurige Seite an Sarah: mitzubekommen, wie Scott sich und seine Beziehung zu Sarah immer weiter zerstört, es ihr unmöglich macht, weiter mit ihm zusammen zu sein. Und sich selbst immer tiefer in eine Spirale aus Alkohol, Stumpfsinn und Hirngespinsten versetzt, die er scheinbar nur zum Schreiben hier und da durchbricht.
Sarah ist ein bittersüßes, dreckverschmiertes White-Trash-Juwel, das einen an die Seiten fesselt. Die Geschichte von Sarah und Scott ist ebenso herzzerreißend wie abstoßend, aber in jedem Falle eines: große Literatur aus kleinem Hause.
Scott McClanahan
Sarah
Aus dem amerikanischen Englisch von Clemens Setz
Ars Vivendi
206 Seiten | 22 Euro
Erschienen am 28.2.2020
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