Tomasz Jedrowski: Swimming in the Dark

Vor ein paar Tagen kam ich an einem Plakat vorbei. Auf dem stand in großer pinker Schrift: »Utopia is not a place – it’s an act.« Ich musste direkt an Ludwik und Janusz aus Tomasz Jedrowskis Roman Swimming in the Dark (dt. Im Wasser sind wir schwerelos) denken, die sich einen ganzen Sommer an dieser Frage abarbeiten: Ist die Liebe an einen Ort gebunden oder sucht sie sich wie ein Fluss gegen alle Hindernisse ihren Weg?

Tomasz Jedrowski: Swimming in the Dark (Buchcover)

Swimming in the Dark versetzt uns ins Polen der 1980er Jahre. Während eines Arbeitseinsatzes auf dem Land lernen sich die beiden Studenten Ludwik und Janusz kennen – beide stehen kurz vor ihrem Abschluss. Die Abende verbringt Ludwik mit James Baldwins Roman Giovannis Zimmer, Janusz zieht schwimmend Bahnen in einem nahegelegenen Fluss. Hier kommen sie schließlich ins Gespräch und lernen einander kennen. Schon an dieser Stelle wird die Stärke des Romans deutlich: seine tänzelnde Sprache, die manches ungesagt lässt und so den vorsichtigen Schimmer einer neuen Liebe sehr schön einfängt.

Ludwik und Janusz beschließen, gemeinsam den Sommer zu verbringen, ziehen weiter und gehen in den Masuren campen. Das anfängliche Abtasten führt in eine Sommerromanze, die gerade für den Ich-Erzähler Ludwik eine Tiefe erreicht, die weit mehr ist als nur ein bloßer Flirt:

There was so much I could not get enough of, so much I would never be able to grasp or possess, no matter how much I tried. And I tried, we tried. Covering ourselves with each other, merging into one, pulling, following the pull, letting its current take over.

Ganz ohne Politik geht es in Jedrowskis Roman jedoch nicht. Die beiden Männer streiten darüber, wie groß das Preisschild an der westlichen Freiheit ist. Der Bauernsohn Janusz hat vom kommunistischen Bildungssystem profitiert, durfte an die Universität. Ludwik dagegen fühlt sich vom politischen System zunehmend eingeengt.

Gänzlich von der politischen Situation eingeholt werden sie zurück in Warschau. Der gemeinsame Sommer in den Masuren wird zu ihrem Utopia, zu dem sie nicht mehr zurückkehren werden. Wie in Giovannis Zimmer ist ihre Liebe fortan auf Janusz’ Wohnung beschränkt. Langsam erkennt Ludwik, dass das wohl auch so bleiben wird. So wundert es nicht, dass er Polen verlassen wird – die Geschichte erzählt er uns rückblickend aus New York, wie wir gleich im Vorwort erfahren.

Damit ist Swimming in the Dark viel mehr als nur ein Liebesroman für eine laue Sommernacht (was meine absolute Empfehlung fürs »Lesesetting« ist). Der Roman geht dahin, wo es wehtut: an die Frage, wie viel Scham in schwuler Liebe steckt. So erinnert sich Ludwik nicht ohne Schmerz an eine Szene von einem Schultanz mit seinem Kindheitsschwarm Beniek:

It was the first time I had consciously wanted to pull anyone towards me. The desire reached me like a distinct message from deep within, a place I had never sensed before but recognised immediately. I moved towards him in a trance. His body showed no resistance when I pulled it against mine and embraced him, feeling the hardness of his bones, my face against his, and the warmth of his breath. This is when the lights turned back on […] We pulled apart. And though we continued to dance, I no longer heard the music. I was transported into a vision of my life that made me so dizzy my head began to spin. Shame, heavy and alive, had materialised, built from buried fears and desires.

Beim Verhandeln dieser Frage werden die Anleihen an Giovannis Zimmer besonders deutlich. James Baldwins Meisterwerk über schwule Liebe und Scham schwebt über Swimming in the Dark. Das tut dem Roman und seiner Eigenständigkeit jedoch keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil: Die leichte, fließende Sprache macht das Thema greifbar und fast schon körperlich erfahrbar. Der Systemkonflikt zwischen dem (vermeintlich) freien Westen und dem (vermeintlich) egalitären Osten gibt der Frage nach der Möglichkeit persönlicher Entfaltung in sowohl liberalen als auch autoritären Gesellschaften weitere Brisanz.

Mit 256 Seiten hat der Roman eine gute Länge. Ein bisschen mehr Seiten hätten es aus meiner Sicht aber doch sein dürfen, insbesondere um mehr Kontext zur politischen Situation zu bekommen. Hier geht alles sehr schnell und Ludwiks Handeln war ohne weitere Einordnung für mich nicht immer ganz nachvollziehbar.

Wer noch keine Sommerlektüre gefunden hat, dem sei Swimming in the Dark ans Herz gelegt. Und wer dann noch nicht genug bekommt von komplizierter schwuler Liebe, sollte unbedingt Giovannis Zimmer lesen, denn beide Romane haben sich viel zu sagen. 

Tomasz Jedrowski

Swimming in the Dark

Bloomsbury (dt. Ausgabe bei Hoffmann und Campe)

256 Seiten | ca. 10 Euro (TB)

Erschienen im Februar 2020

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