Pia Lamberty, Katharina Nocun: Gefährlicher Glaube

Esoterik ist mit Achtsamkeit und Selbstfindung im Trend. Welche Abgründe sich hinter süßen Artworks und blumigen Beschreibungen verstecken können, zeigen Pia Lamberty und Katharina Nocun in Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik.

Pia Lamberty, Katharina Nocun: 
GEFÄHRLICHER GLAUBE. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik

In einer Welt, die sich für die Menschen komplexer denn je anfühlt und stetig weniger Konstanten bietet, wird es immer wichtiger, Halt zu finden. Je nach individueller Konstitution und Lebenslage gibt es auf dieses Grundbedürfnis sehr unterschiedliche Antworten. Viele machen Sport, andere verwirklichen sich im Job, wieder andere schreiben Buchblogs (haha), machen Musik oder verfolgen andere Hobbys, die ihnen Sinn und Ausgleich vom stressigen Alltag geben. Bei schwerwiegenderen Problemen ist es dann eher auch eine begleitende Therapie, die Halt geben kann.

Das klingt alles leicht, ist es aber durchaus nicht immer. Es macht den Eindruck, dass viele Menschen keine Antworten mehr finden und in immer weiteren Gefilden danach suchen, wer sie sind und welchen Sinn das Leben für sie hat. Esoterik ist ein ziemlich weites Feld, das hier zunehmend eine Rolle spielt. Es beginnt bei einfachen Adaptionen von leicht selbst anwendbaren therapeutischen Methoden, die esoterisch geflaggt werden und dadurch einen niedrigschwelligen Zugang bieten. Das sind dann etwa Dankbarkeitstagebücher, geführte Meditationen und andere Anleitungen zur Beschäftigung mit dem Selbst. So weit, so harmlos.

Doch von diesem ungefährlichen und für viele Menschen hilfreichen Punkt aus wird es kompliziert. Denn nicht nur ist Esoterik mittlerweile ein milliardenschwerer Markt, auf dem sich alle möglichen gewinnorientierten Gestalten tummeln. Sie ist auch ein Feld, das durch seine ganz eigenen Gesetze ein Einfallstor in Verschwörungsglauben und Rechtsextremismus sein kann. In ihrem neuen Buch Gefährlicher Glaube. Die Radikale Gedankenwelt der Esoterik untersuchen die Psychologin Pia Lamberty und die Journalistin Katharina Nocun vor allem diese Aspekte der Esoterik.

Zumeist gehen die Kapitel des Buchs von individuellen Eindrücken aus, welche die Autorinnen etwa auf einer Messe für Esoterik oder in einem Biomarkt sammeln. Von diesen wird dann weiter ausgegriffen, um die problematischen Aspekte an im ersten Moment einfach nur absurd, hanebüchen oder gar lächerlich erscheinenden Phänomenen zu unterstreichen. So geht es um entstörte Barcodes auf anthroposophischen Produkten, Kristalle oder Öle gegen Krebs und für bessere Bezahlung im Job, teure Geister mit Börsentipps und ähnliche Versprechen. So sehr man Anbieter*innen wie Kundschaft von solchen Angeboten einfach nur einen Vogel zeigen möchte – gerade hier befinden sich die Kipppunkte, an denen Leben zerbrechen können.

Denn der tiefe Glaube an die Wirksamkeit esoterischer Heilkunde oder Schicksalsfügung bedingt auch gleichzeitig den Abschied von Medizin, Wissenschaft, Politik, überhaupt unserer gemeinsamen gelebten Welt. Und damit den Eintritt in eine gefühlt erleuchtete Existenz, die wiederum von anderen sehr leicht ausgenutzt werden kann. Schnell ist dann ein Wasserbeleber für tausende Euros gekauft, ein gesegneter Kristall oder ein kosmischer Entstörer – und das Geld für die nächste Miete weg. Eine komplette Abhängigkeit ist vorprogrammiert, eine Radikalisierung dann meist die Folge.

Gefährlicher Glaube beleuchtet diese Zusammenhänge an zahlreichen Beispielen und in sehr gut zugänglicher Sprache. Es macht sowohl die individuelle Verfassung Betroffener und deren Angehöriger sichtbar als auch die Seite der Nutznießer und von Beratungsstellen. Das alles ist wichtig und an und für sich gut, in der Gesamtsicht konnte mich das Konzept aber nicht wirklich überzeugen. Denn leider wirkt alles sehr unentschieden, das Buch kippt für mich immer wieder zu sehr in die verschiedenen Richtungen. Es ist seitenlanger Erlebnisbericht, der doch nur absurde Angebote aufzählt, ist plötzlich fast ein Ratgeber für Angehörige, dann Interview mit Betroffenen/Aussteiger*innen.

Es fehlt mir hier kurz gesagt an neuen Erkenntnissen, die über eine Zusammenfassung und Paraphrasierung von bereits Bekanntem hinausgehen. Die auf einer tieferen Ebene auf Fragen eingeht wie: Wer sind die Menschen, die anfällig für gefährliche Esoterik sind? Welche Gründe treiben sie in Sekten und ähnliches? Wie haben sich diese in der Pandemie verändert? Wie passen die Querdenker in das Schema? Wie operieren Nutznießer*innen genau? Auf diese und ähnliche Fragen gibt es zwar immer mal wieder Antworten, diese gehen aber selten über das hinaus, was man sich selbst zusammenreimen kann, und nehmen fast nie Statistiken oder Ergebnisse aktueller Forschung zur Hand. Das ist enttäuschend, da ich mir gerade das von diesem Buch versprochen hatte.

Gefährlicher Glaube ist ein gut lesbarer Einstieg in das Thema Esoterik. Das Buch blättert verschiedene Problemfelder auf und erklärt gut, wo die Gefahren dieser geheimen Welt liegen. Leider geht es aber kaum über bereits Bekanntes hinaus und verfolgt inhaltlich kein durchgängiges Konzept, wodurch es immer wieder etwas unentschieden wirkt. Hier wäre mehr drin gewesen.

Pia Lamberty und Katharina Nocun: Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik | Quadriga | 303 Seiten | 22 Euro | erschienen im Oktober 2022

Kategorie Blog, Rezensionen, Sachbuch
Autor

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

2 Kommentare

  1. Das war eine Rezension, auf die ich richtig gewartet habe, seit du mir von dem Buch erzählt hast. Ich bin ja auch eine Eso-Braut, wie du weißt 😉
    Schade! Ich hab mir auch mehr erhofft. Wenn du aber mal auf ein tiefergehendes Buch dieser Art stößt, sag Bescheid.
    Ganz liebe Grüße

    • Ja, war leider nicht das, was ich erwartet hatte. Aber da kommt bestimmt noch was besseres! Liebe Grüße!

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