Das ländliche Österreich nach dem Krieg: Thomas Oláh erzählt in seinem Debütroman Doppler vom Aufwachsen in rauen Verhältnissen, mit einer Vergangenheit, über die man lieber schweigt, und steht damit auf der Longlist des Deutschen Buchpreis 2023.
Ein Reifen platzt, und die Welt ist nicht mehr die gleiche. Eine vierköpfige Familie überschlägt sich in ihrem Auto, es gibt nur einen Überlebenden. Der verstörte Junge kommt zu seinen Großeltern, in das Dorf, in dem der Großteil der Familie wohnt: Frankenhayn. Für den kleinen Jungen, der bis dahin in Salzburg aufgewachsen ist, ein Kulturschock.
Denn das Leben der Weinbauern in Frankenhayn ist rau, die Menschen stehen dem in nichts nach. Der Umgang ist grob, gesprochen wird wenig, Zugezogene – auch kleine Jungen aus der Stadt – werden nicht gern gesehen bzw. noch nach Jahren als »Städter« ausgegrenzt. Man bleibt gern unter sich, aber gleichzeitig ist Blut eben auch dicker als Wasser. Und Blut fließt hier reichlich.
Doppler von Thomas Oláh versetzt die Leser*innen nach dem Schock des Unfalls gleich mitten ins Herz der Finsternis, ins ländliche Österreich der 1970er Jahre. Der Roman schildert das Aufwachsen des nicht weniger plötzlich in dieses vermeintliche Idyll geworfenen Jungen aus der Ich-Perspektive, die sich im Laufe des Romans immer weiter auflöst und die Geschichten anderer Personen der Familie erzählt, die der Junge in der Gegenwart des Romans nicht kennen kann.
Einer ähnlichen Bewegung folgen die Episoden, die der Junge in lockerer Folge erzählt. Es beginnt mit Streichen und naiven Aktionen des Jungen mit seinen brutalen Cousins, die die schlagende Erziehung ihrer Eltern komplett in sich aufgesogen haben und an Mensch und Tier in ihrer Umgebung ohne Empathie weitergeben. Mit der Zeit geht die Erzählung dann immer weiter in die Vergangenheit und erzählt als Höhepunkt eine Episode von der Befreiung durch die Rote Armee, in der sich ein Familiengeheimnis verbirgt.
Doppler changiert zwischen Schelmenroman und Sittenbild und verschränkt die beiden Themen in der Romansprache, die stark an den Realismus der späten Nachkriegsliteratur erinnert. Damit lehnt sich dieses Debüt durchaus mutig gegen den Trend in der aktuellen Gegenwartsliteratur und beschert den geschilderten 1970er Jahren ein passendes Korsett.
Mich hat der Roman mit all dem leider kaum erreicht. Zu holzschnittartig bleiben die Figuren, zu beliebig und pausbäckig sind die Kinderstreiche, zu oft schon – und besser – wurde das Schweigen über den Zweiten Weltkrieg in Österreich thematisiert. Und der im Klappentext versprochene Humor ist leider komplett an mir vorbeigegangen, allein eine ironische Distanzierung zu den geschilderten Personen habe ich vernommen, die aber wenig Lustiges für mich bereithielt. Für mich als später geborener und westdeutsch sozialisierter Leser ist das Buch vielleicht einfach nicht geschrieben, auch wenn mich andere Antiheimatromane durchaus mitnehmen konnten.
Doppler von Thomas Oláh wirft Licht ins dunkle österreichische Hinterland der Nachkriegszeit und führt ein Ensemble gruseliger Figuren auf. Keine leichte Kost, was für mich aber auch an den wenig interessanten Episoden liegt, die kaum Zwischentöne kennen und so wenig Neues für den Antiheimatroman zu bieten haben.
Thomas Oláh: Doppler | Müry Salzburg | 224 Seiten | 24 Euro | Erschienen im Februar 2023