Aus der Kneipe in die Medien: In Verdunstung in der Randzone erzählt Ilija Matusko von seinem Klassenwechsel und allen Risiken und Nebenwirkungen, die dieser mit sich gebracht hat und immer noch bringt.
Verdunstung in der Randzone – kann es noch poetischer werden? Ein Genie, wer sich dieses Bild ausgedacht hat. Könnte man denken, doch die Realität ist mal wieder deutlich – fettiger. Es handelt sich um ein Zitat aus dem Standardwerk Optimal Frittieren: Theorie des Frittierens. Und damit sind wir mittendrin in der Welt, die Ilija Matusko hier für uns ausbreitet. Seine Welt, seine Geschichte, und damit auch die tausender anderer Menschen, die aus »einfachen Verhältnissen« kommen und es in eine höhere Klasse geschafft haben, in diesem Fall zum Journalisten und Autor, einem Intellektuellen und Kulturmenschen also.
Das Thema Klasse und Klassenaufstieg ist in letzter Zeit immer mehr bearbeitet und beachtet worden. Ewig galt die Klasse in Deutschland als tot bzw. veraltetes Konzept, sich überlappende Schichten, höchstkomplexe Gebilde sollten nicht durch so etwas Primitives wie Klasse konterkariert werden. Und doch erweist sich das viel einfachere Konzept als erklärungsstark, da es die Unterschiede nicht nivelliert, aber doch eine einfache Zuordnung erlaubt, die dem Empfinden der Menschen in oder zwischen diesen Klassen deutlich näher ist als eine allzu diffizile Metastruktur.
In Verdunstung in der Randzone beschreibt Matusko seinen Weg vom Gastwirts- und Einwandererkind zum Intellektuellen – auch wenn er selbst diese Bezeichnung kaum aussprechen will. Seine Herkunft haftet dabei an ihm wie der Geruch des Frittenfetts, der seine Jugend prägte. Immer wieder wurde ihm seine Unterklassenherkunft bewusst gemacht, wenn er auf den Geruch seiner Kleidung reduziert wurde. Kein Wunder, dass er bis heute extrem empfindlich auf jedes Anzeichen von Kleidungsgeruch reagiert und auf seinem Weg penibelst darauf achtete, niemals mehr nach etwas – vor allem Essen – zu riechen.
Besonders ist an Verdunstung in der Randzone für mich die Weise, in der Matusko seinen Weg erzählt. Er tut dies nämlich nicht memoirenhaft geradeheraus, sondern in ebenso schlängelnden und stockenden Bewegungen, wie das allgegenwärtige Imposter-Syndrom das Denken gerade von Klassenaufsteiger*innen prägt. Der Text springt von der Gegenwart in die Vergangenheit, vom Erzählen zum Zitieren verschiedenster Quellen, zieht Verbindungen, mal assoziativ, mal vergleichend.
Damit schafft es Ilija Matusko in Verdunstung in der Randzone, seine Geschichte ganz bewusst im Diskurs zu verorten, ohne das Individuelle dabei über Bord zu werfen. Der Text ist überaus emotional, schafft aber immer wieder auch Distanz, und wird so nie selbstmitleidig oder rührselig. Ein ausgezeichnetes Buch über den Klassenaufstieg, das sich nicht mit dem Erzählen zufriedengibt, sondern weit über die eigene Geschichte hinausweist, ohne dabei jemals auch nur ansatzweise zu dozieren. So muss es sein.
Ilija Matusko: Verdunstung in der Randzone | Suhrkamp | 238 Seiten | 17 Euro | Erschienen im August 2023