Marcus Bensmann / Correctiv: Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst

Deepdive in den Abgrund: In Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst. Die ungeheuerlichen Pläne der AfD holt Marcus Bensmann von Correctiv zum Rundumschlag gegen die Rechtspopulisten aus.

Bensmann, AfD, Cover

Im letzten Winter gingen hundertausende Menschen in Deutschland gegen Rechts auf die Straße. Ein Zeichen gegen eine vergiftete Migrationsdebatte, die in immer tiefere Abgründe vordringt und die Würde von migrantisierten Menschen in Deutschland schon lange über Bord geworfen hatte. Praktisch alle Parteien hatten sich in der Debatte von der AfD treiben lassen, der Diskurs war immer weiter nach rechts gerückt, der Bereich des vermeintlich Sagbaren immer brauner gefärbt.

Das Potsdamer Geheimtreffen von rechten Kadern brachte dann das Fass zum Überlaufen und die Menschen in Deutschland auf die Straße. Die Recherche von Correctiv hatte deutlich gemacht, dass gerade die AfD noch lange nicht am Ende der Fahnenstange angekommen war, was ihre Vertreibungspläne für nicht willkommene Menschen aus Deutschland angeht. Der von der Identitären Bewegung geprägte pseudowissenschaftliche Begriff »Remigration« war plötzlich in aller Munde.

In seinem Buch Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst. Die ungeheuerlichen Pläne der AfD geht der Correctiv-Autor Marcus Bensmann vom Potsdamer Geheimtreffen aus, um dann die Radikalisierung der AfD anhand von herausstechenden Köpfen und der zugrundeliegenden Ideologie detailliert zu beschreiben. Er zeigt damit zum einen, dass die in Potsdam einer großen Öffentlichkeit bekannt gewordenen Pläne schon lange Teil der AfD waren, zum anderen aber auch, wie die rechtsextremen Kräfte, die die Pläne schon lange hegen, immer mehr Macht in der AfD gewannen.

Das Buch zeichnet damit ein detailliertes wie erschreckendes Bild, in dem jeder Strich belegt ist. Die ungeheuerlichen Pläne der AfD ist vor allem das: eine ausführliche Dokumentation der Entwicklung der AfD zur extrem rechten Partei, in der der aufgelöste »Flügel« um Björn Höcke die Oberhand gewonnen hat und der Entgrenzung kaum noch Einhalt geboten wird. Eine wichtige Quellensammlung also.

Dabei merkt man dem Buch in Stil und Struktur deutlich an, dass es – wie der Autor im Dank schreibt – ein »Husarenritt« war. Die Absätze stehen ohne Verbindung nebeneinander, eine Information folgt auf die nächste, es gibt sehr viele Sprünge und Wiederholungen, an lobenden Erwähnungen von Correctiv wird auch nicht gespart. Zudem schwankt die Sprache zwischen nüchterner Beschreibung und Empörung, was für mich nicht ganz zur Form der Dokumentation passt.

Auf die hinteren Kapitel mit einer Analyse der jüngsten AfD-Wahlerfolge sowie Ratschlägen für die demokratischen Parteien in Deutschland hätte man ganz verzichten können, es hätte nichts gefehlt. Sie greifen viel zu kurz und können mit dem Detailgrad des Herzstücks in keiner Wiese mithalten, im Gegenteil haben sie bei mir eher für Befremden und Kopfschütteln gesorgt. Hier wäre weniger mehr gewesen.

Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst. Die ungeheuerlichen Pläne der AfD von Marcus Bensmann ist eine ausführliche Dokumentation der rechtsextremen Kräfte in der AfD, die weit über das Potsdamer Geheimtreffen und die dort geäußerten Pläne hinausgehen. Stilistisch merkt man dem Buch seine kurze Entstehungszeit an, die Qualität der Recherchen tastet dies aber nicht an.

Marcus Bensmann / Correctiv: Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst. Die ungeheuerlichen Pläne der AfD | Galiani | 256 Seiten | 22 Euro | Erschienen im Juli 2024

Kategorie Blog, Rezensionen, Sachbuch
Autor

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

Kommentar verfassen