Michael Butter: Die Alarmierten

Verblendungen hier wie dort: In Die Alarmierten. Was Verschwörungstheorien anrichten beschäftigt sich Michael Butter mit den Folgen, die die große Präsenz von Verschwörungstheorien in den Medien haben – und ruft dabei vor allem zur Differenzierung auf.

Michael Butter, Die Alarmierten, Cover

»Nichts ist, wie es scheint« hieß der erste Band von Michael Butter zu Verschwörungstheorien, er erschien 2018 und viele Werke anderer Autor*innen zu dem Thema folgten. Vorher war es eher ruhig gewesen, doch mit der Corona-Pandemie erfuhren Verschwörungstheorien einen regelrechten Hype. Die Sichtbarkeit von Menschen, die sich offen in Social Media, aber auch im sonstigen persönlichen Umfeld vieler Menschen als Verschwörungstheoretiker*innen zu erkennen gaben, ging regelrecht durch die Decke. Als dann 2021 noch klar erkennbare QAnon-Anhänger*innen beim Sturm auf das Capitol in Washington D.C. in vorderster Front mitliefen, ging es nicht mehr nur um die teils aberwitzigen Theorien selbst, sondern auch um ihr demokratiegefährdendes Potenzial.

In seinem zweiten Buch Die Alarmierten schaut Michael Butter auf die Entwicklung der Verschwörungstheorien und ihrer anhaltenden Konjunktur in den Medien zurück und versucht daran anschließend eine möglichst unalarmistische Gegenwartsbeschreibung zu liefern. Denn wie der Titel schon sagt, attestiert Butter nicht nur vielen Anhänger*innen von Verschwörungstheorien einen ziemlich überhöhten Alarmismus. Auch den Diskurs der Zivilgesellschaft sieht er in Teilen kritisch.

Ihn stört vor allem, dass sich die allgemeine Sicht auf Verschwörungstheorien und ihre Anhänger*innen sehr vereinfacht habe, es also an Differenzierung mangelt. So sei es etwa vielerorts Konsens, dass alle Verschwörungstheorien antisemitisch seien, dadurch menschenverachtend, dadurch demokratiegefährdend. Ohne zu bestreiten, dass dies für sehr viele Theorien genau so zutrifft, betont Butter doch immer wieder, dass diese tatsächlich gefährlichen Varianten eben immer auch nur dies seien: Varianten, die neben anderen Varianten ohne antisemitische Anteile existieren. Wie etwa bei der Mondlandung, bei 9/11 und anderen Theorien. Wer die Mondlandung für einen Studiofilm hält, ist deshalb noch kein Antisemit – kann es aber natürlich durchaus sein, wenn er damit ein jüdisches Komplott am Werk sieht.

Butters Kritik ist kein Selbstzweck. Er sieht in der beschriebenen Sicht, die die meisten Organisationen teilen, die Programme gegen Verschwörungstheorien unterhalten, ein entscheidendes Hindernis, um Verschwörungstheoretiker*innen zu erreichen. Denn nur wer ihnen auf Augenhöhe begegnet, zuhört und empathisch auf eine »abgedriftete« Person eingeht, kann diese auch erreichen. Wenn sie aber von vornherein als Antisemit*in und Demokratiefeind*in abgeschrieben wird, ist dies kaum noch möglich.

Damit ist Butters Plädoyer ein gänzlich pragmatisches: Es geht darum, den Menschen noch eine Chance zu geben, selbst wenn sie abgerutscht sind. Denn nur so können sie wieder auf sicheren Boden geholt werden. Für mich durchaus überzeugend und auch hoffnungsvoll.

Michael Butter: Die Alarmierten. Was Verschwörungstheorien anrichten | Suhrkamp | 247 Seiten | 22 Euro | Erschienen im Oktober 2025

Kategorie Blog, Rezensionen, Sachbuch

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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