Andreas Malm: Klima|x

Im Vergleich von Covid- und Klimakrise tritt ein Graben zutage, tiefer als der Marianengraben. Andreas Malm setzt sich in seiner Streitschrift Klima|x (Matthes & Seitz) mit den Unterschieden auseinander und beschreibt mögliche Wege aus der permanenten Krise.

Kleines Gedankenexperiment: Wo würden wir heute stehen, wenn damals – ich glaube es war Mitte der 1980er-Jahre – die ersten wirklich fundierten Gutachten zum menschengemachten Klimawandel aufgrund permanent zu hohem CO2-Ausstoßes nicht einfach schnell in die Schublade gesteckt worden wären? Wenn sich im Gegenteil die Weltgemeinschaft auf einen Lockdown geeinigt hätte, einen staatlich verordneten Stillstand, um zusammen nach Wegen aus der Krise zu suchen? Um sich heranzutasten an eine Wirtschaft, einen Handel, einen globalen Lebensstil (wenn man bei den bestehenden Unterschieden davon sprechen kann), die darauf ausgelegt sind, die Grundlage des Lebens auf unserem Planeten zu erhalten. Die die Wirtschaft eben mitdenken, aber nicht als freilaufende allererste Priorität schützen.

Es ist müßig, darüber zu fantasieren, klar. Vierzig Jahre, die auf die Entwicklung eines nachhaltigen Lebens auf der Erde hätten verwendet werden können, sind verstrichen. Es gab Ansätze, wir stehen nicht bei Null, auch wenn es sich manchmal so anfühlt. Gerade dann, wenn wir sehen, was gerade in der Coronakrise passiert: Die Welt wird heruntergefahren, auch die Wirtschaft muss – oder musste zumindest im ersten Lockdown vor bald einem Jahr – genauso zurückstecken wie der private Sektor. Politische Intervention, das Hassobjekt freier Marktwirtschaft, war plötzlich möglich, sogar in dramatischen Maßstäben.

Andreas Malm nimmt in seiner Kampfschrift Klima|x genau diese Koinzidenz – krasse Intervention aufgrund von Corona, lascher Aktionismus beim Klima – zum Anlass seiner Analyse. Er vergleicht beide Krisen in ihren Grundzügen und stellt gerade auch die fundamentalen Unterschiede heraus. Am wichtigsten ist wohl die Erkenntnis, dass es eine Krise wie Corona – die zwar in ihrer Heftigkeit seit langem einmalig, aber keinesfalls unvorhergesehen ist – bei einer früheren, entschiedeneren Intervention zur Verhinderung des Klimawandels mit großer Wahrscheinlichkeit niemals stattgefunden hätte. Der Übersprung von tierischen Viren auf den Menschen ist das Ergebnis von Entwaldung und Artensterben, die von der kapitalistischen Wachstumswirtschaft immer weiter angetrieben werden.

Es ist ein wenig so, als würde man einen Krieg it einer Pistolenkugel vergleichen. Covid-19 stellt lediglich eine Manifestation eines lang anhaltenden Trends dar, der parallel zur Klimakrise verläuft, ein globales Übel, passend zur globalen Erwärmung. Im März 2020 wurden Klimaschützer*innen nicht müde, darauf hinzuweisen, dass sich die Erde auch dann noch erwärmen und weiteren Donner in unsere Richtung schicken würde, wenn die Krankheit sich verflüchtigt hätte.

Auf die Analyse der Krisen baut dann sein Schluss auf, der ähnlich wie Raul Zelik ein Neudenken unserer politischen Systeme unter der Prämisse der dauerhaften Krise des Marktkapitalismus in globalem Maßstab fordert. Gerade das Experiment mit sozialistischen Formen scheint ihm dabei am aussichtsreichsten, um den Wildwuchs kapitalistischer Aneignung zu stoppen und Programme globaler Zusammenarbeit zum Schutz des Ökosystems dagegenzusetzen. Diese wiederum können nur durch faire Umverteilung durchgesetzt werden, da die Länder mit der größten Biodiversität zumeist im globalen Süden liegen. Genau wie bei Zelik bin ich hier voll auf seiner Seite und denke, dass das der einzig funktionierende Ansatz sein kann, der allerdings eine Intervention in größt-denkbarem Maßstab voraussetzen würde.

Abgesehen vom Inhalt, der wie beschrieben absolut unterstützenswert ist, hatte ich aber doch zahlreiche Probleme mit Klima|x. Ich hatte durchgängig das Gefühl, dass hier ein vollwertiges Sachbuch mit einem fundierten Apparat in die Form einer kompakten Streitschrift gepresst wurde, um zum einen in die punctum-Reihe zu passen und zum anderen zugänglicher zu wirken. Für mich ist beides misslungen: Der Titel hat keinerlei Bezüge zur Fotografie, die ja irgendwie die punctum-Reihe konstituieren sollen. Außerdem ist Klima|x mit gut 260 Seiten immer noch viel zu dick für das kleine Format.

Viel schwerer wiegt für mich aber das Weglassen der gesamten Quellen zugunsten eines kleinen Formats. Dies hat den eh schon extrem dichten, vor Fremdwörtern strotzenden und sprunghaften Text noch zusätzlich verdichtet und – viel schlimmer – die argumentative Ebene geschwächt. Natürlich, man kann sich ein PDF herunterladen, in dem alles noch näher erklärt und mit Quellen belegt wird. Aber wer macht das denn?

Klima|x von Andreas Malm ist ein flammendes Plädoyer für globales Umdenken, Neudenken des menschlichen Lebens und Wirtschaftens auf unserer Erde im Modus der kapitalistischen Dauerkrise. Leider verliert die Streitschrift durch extrem hohe Dichte und fehlenden Fußnotenapparat etwas an Durchschlagskraft und dürfte viele Leser*innen schon früh verprellen. Wer durchhält, wird aber belohnt.

Andreas Malm

Klima|x

Matthes & Seitz Berlin

263 Seiten | 15 Euro

Erschienen am 15.10.2020

Kategorie Blog, Indiebooks, Rezensionen, Sachbuch

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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